Auch die Schwester des in Hamburg ermordeten Süleyman Tasköprü fühlt sich ohne Anwältin „nicht gewachsen“ für das Treffen.

Hamburg. Noch Ende des vergangenen Jahres hatte Bundespräsident Joachim Gauck ein Treffen mit den Angehörigen der NSU-Opfer und der Türkischen Gemeinde in Deutschland abgelehnt. Er wolle erst ein Gespräch mit Politikern des Untersuchungsausschusses Anfang Februar abwarten, begründete damals das Bundespräsidialamt die Absage. Für heute nun hat Gauck die Familien der mutmaßlich von der rechtsterroristischen Terrorzelle NSU Ermordeten ins Schloss Bellevue zu einem Mittagessen eingeladen. In einer vertraulichen Runde will der Bundespräsident seine Unterstützung und Solidarität zeigen. Rund 70 Menschen sollen nach Angaben des Bundespräsidialamtes für etwa zwei Stunden in Bellevue zusammenkommen.

Mehrere Angehörige haben Gaucks Einladung ausgeschlagen – darunter auch die Schwester des Hamburger NSU-Opfers Süleyman Tasköprü. In einem Brief an den Bundespräsidenten, der dem Hamburger Abendblatt vorliegt, begründet Aysen Taskörpü ihre Absage: Vor allem kritisiert die 38 Jahre alte Schwester, dass Gauck nur die Angehörigen, aber nicht deren Anwälte nach Berlin eingeladen habe. Allein fühle sie sich dem Besuch jedoch „nicht gewachsen“, schreibt Tasköprü. Das Bundespräsidialamt hatte nach eigenen Angaben die Angehörigen gebeten, von der Begleitung durch Rechtsanwälte als vertraute Personen abzusehen, um die vertrauliche Atmosphäre zu gewährleisten.

Doch die Schwester des 2001 ermordeten Süleyman Tasköprü sagt nicht nur ab – sie erhebt auch Vorwürfe gegen Gauck. „Ihnen, Herr Bundespräsident, ist mein Bruder doch nur wichtig, weil der NSU ein politisches Thema in Deutschland ist.“ Und Tasköprü fragt: „Was wollen Sie an unserem Leid ändern? Glauben Sie, es hilft mir, wenn Sie betroffen sind?" Stattdessen fordert die 38-Jährige mehr als ein Jahr nach Bekanntwerden der Mordserie durch Neonazis endlich Antworten: „Wer sind die Leute hinter dem NSU? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum?"

2001 soll die Terrorzelle des selbsternannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ den türkischen Kleinunternehmer Süleyman Tasköprü in seinem Geschäft in Bahrenfeld mit zwei gezielten Kopfschüssen ermordet haben. Erstmals hat mit dem sehr emotionalen Brief nun eine Angehörige des Hamburger Mordopfers von der Zeit nach dem Mord und die Angst der Familie nach der Tat durch die Rechtsterroristen erzählt. An dem Tag, als die NSU-Terrorserie bekannt wurde, sei auch Tasköprüs Großmutter gestorben. „Ich habe in dieser Nacht nicht geschlafen, ich musste mich ständig übergeben. Am nächsten Tag hätte ich Frühdienst gehabt, ich konnte nicht zur Arbeit gehen. Das Telefon klingelte ununterbrochen, Presse und Fernsehen wollten Interviews, ich wollte nur meine Ruhe“, schreibt die Schwester.

Doch nicht nur Aysen Tasköprü aus Hamburg hat das Treffen mit Gauck an diesem Montag abgesagt. Wie der MDR berichtet, haben weitere Angehörige die Einladung ausgeschlagen. Der Münchner Anwalt Yavuz Narin teilte mit, dass seine Mandantinnen nicht nach Berlin reisen werden. In Anwesenheit von mehreren Dutzend Hinterbliebenen habe man keinerlei Möglichkeit, sich mit dem Bundespräsidenten detailliert auszutauschen, hieß es zur Begründung.

Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, zeigt Verständnis für die harte Kritik der Angehörigen an den Ermittlungsbehörden. „Die Hinterbliebenen haben jedes Recht, die von Fehlern strotzende Arbeit der Ermittler zu kritisieren und die politische Elite um Antworten zu bitten“, sagte John den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“.

In den Jahren 2000 bis 2007 soll der NSU eine Polizistin, acht türkische und einen griechischen Kleinunternehmer ermordet haben. Bis zum Auffliegen der mutmaßlichen rechtsextremistischen Täter im November 2011 ermittelte die Polizei vor allem im Umfeld der Familien, suchte Hinweise auf die Mordserie im Drogenmilieu oder der politischen kurdischen Szene. Die meisten Medien sprachen in dieser Zeit nur lapidar von „Döner-Morden“. Vor allem die Angehörigen der Ermordeten wurden über Jahre immer wieder verhört und auch beschuldigt. Heute ist die Mordserie des NSU auch die Geschichte eines großen Staatsversagens. Polizei und Verfassungsschutz fischten nicht nur im Trüben, sie blockierten sich teilweise gegenseitig, gingen Hinweisen auf ein rechtsextremes Motiv der Tat nicht entschlossen nach.