Hessen und Bayern klagen gegen den Länderfinanzausgleich - und gegen Vorteile der Stadtstaaten wie Hamburg

Wiesbaden/Hamburg. Um zu erklären, was er am Länderfinanzausgleich für ungerecht hält, bedient sich Münchens Finanzminister Markus Söder (CSU), ganz Bayer, in der Welt der Kicker. "Im Fußball gilt der Grundsatz: Schießt du Tor, bekommst du Punkt und Prämie. Im Länderfinanzausgleich gilt der Grundsatz: Schießt du Tor, bekommst du Punkteabzug."

Geht es nach Bayern und Hessen, die beide aufgrund hoher Steuereinnahmen in den Länderfinanzausgleich einzahlen müssen, sollte in der Bundesrepublik endlich ein Geist à la Bundesliga einziehen. Denn der Länderfinanzausgleich berücksichtigt bisher nur die Einnahmen der Länder, nicht aber ihre Ausgaben. Um das System gerechter zu gestalten, ziehen Bayern und Hessen nun vor das Bundesverfassungsgericht. Gleichzeitig lehnten sie eine Rückkehr an den Verhandlungstisch nicht grundsätzlich ab. Die Klage sei ein "Akt der politischen Notwehr", sagte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) anschließend.

"Wir haben in Bayern für den Länderfinanzausgleich jetzt eine Schmerzgrenze erreicht", sagte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Er sei zuversichtlich, dass die Klage erfolgreich sei. Hessen und Bayern halten das derzeitige Ausgleichssystem zwischen den Ländern für ungerecht und leistungsfeindlich. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird nicht vor dem Jahr 2014 erwartet.

Im vergangenen Jahr hatte neben Hessen und Bayern nur noch Baden-Württemberg in den Ausgleichstopf eingezahlt. Hamburg war 2011 noch Zahler mit rund 60 Millionen Euro. Jetzt ist die Stadt Geldempfänger. Der Vertrag für den innerstaatlichen Ausgleich läuft 2019 aus. Größter Einzahler in den Länderfinanzausgleich war im vergangenen Jahr Bayern mit 3,9 Milliarden Euro. Hessen zahlte 1,33 Milliarden, Baden-Württemberg 2,69 Milliarden Euro. Gefordert wird unter anderem eine Neubewertung Berlins. Die Bundeshauptstadt hatte vergangenes Jahr 3,3 Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich erhalten - fast die Hälfte des mit 7,9 Milliarden Euro gefüllten Topfs.

Eine Fülle von Verhandlungsrunden sei ohne jedes Ergebnis geblieben, sagte der Hesse Bouffier. "Wir haben auf allen Ebenen verhandelt." Hessen müsse für die Ausgleichszahlungen an andere Länder Schulden aufnehmen. "Das ist ungerecht, und das ist von Verfassungs wegen auch nicht richtig." Deshalb hatten sich Bayern und Hessen auch nicht durch Kritik anderer, auch unionsgeführter Länder von der Verfassungsklage abbringen lassen. Auch die Privilegien der anderen Stadtstaaten Hamburg und Bremen sollten abgeschafft werden. Städte wie Frankfurt oder München müssten im Finanzausgleich genauso behandelt werden.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) setzt im Streit um den Länderfinanzausgleich weiter auf eine Einigung am Verhandlungstisch. "Daran führt kein Weg vorbei. Auch nicht der über das Bundesverfassungsgericht", sagte Scholz auf dpa-Anfrage. Es sei notwendig, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Da die geltende Regelung 2019 auslaufe, müsse ohnehin neu verhandelt werden. Und die Ministerpräsidenten der Länder hätten sich bereits auf einen Fahrplan für diese Neuregelung geeinigt. Vor diesem Hintergrund helfe eine Klage nicht - "wie auch der letzte Anlauf dieser Art niemandem geholfen hat", sagte Scholz. Hamburgs Bürgermeister war von den anderen Länderchefs gebeten worden, diesen Zeitplan und einen Vorschlag als Verhandlungsgrundlage zu erarbeiten.

Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) hat vor allem die Stadtstaatenregelung kritisiert. Es könne nicht sein, dass Nehmerländer für Einwohner pro Kopf mehr bekämen als Geberländer. "Das geht so nicht", sagte Schäfer im RBB-Inforadio. Von Verhandlungen mit den Nehmerländern hält er wenig. "Drei gegen dreizehn" sei eine schlechte Ausgangsposition für Verhandlungen. Den Geberländern bleibe keine andere Wahl als die Klage.

Der Stadtstaat Bremen fordert Vertragstreue von Bayern und Hessen. "Verträge müssen verlässlich sein", erklärten Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und Finanzsenatorin Caroline Linnert (Grüne). "Wir haben gute Argumente, die wir mit Nachdruck in Karlsruhe vertreten werden." Böhrnsen verwies auf die Bedeutung Bremens für die Wirtschaft. "Obwohl Bremen das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Ländervergleich hat, bewirkt die ungerechte Steueraufteilung die starke Abhängigkeit vom Länderfinanzausgleich." Bund und Länder sollen sich angemessen beteiligen. "Ohne die Bremischen Häfen gäbe es keinen Exportweltmeister Deutschland."

Bayern und Hessen könnten bei ihrer Verfassungsklage nach Expertenansicht das Nachsehen haben. "Sollten sich die Richter dazu entscheiden, die Gemeindeeinnahmen im Länderfinanzausgleich in vollem Umfang zu berücksichtigen, dann könnten die Belastungen für die beiden Bundesländer sogar wesentlich höher als bisher ausfallen." Das sagte der Volkswirt Martin Altemeyer-Bartscher vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) der Nachrichtenagentur dpa. Ein Grund dafür sei die relativ hohe Finanzkraft bayerischer und hessischer Kommunen.

Sollte die Anrechnung der Gemeindefinanzen hingegen von derzeit 64 Prozent auf geforderte 50 Prozent sinken, ergebe sich unterm Strich für Bayern und Hessen eine mäßige Entlastung, sagte der Professor. Eine Patentlösung in dem Länderkonflikt sah er nicht. Generell halte er einen Ausgleich der Länderfinanzen weiterhin für zeitgemäß. Artikel 105 des Grundgesetzes schreibe fest, dass alle Länder in die Lage versetzt werden, gleichwertige Lebensbedingungen zu gewährleisten - mithilfe öffentlicher Leistungen. "Das heißt, dass sie die finanzielle Ausstattung dazu haben müssen."

Ostdeutschland brauche den Länderfinanzausgleich auch, weil 2019 der Solidarpakt II auslaufe. Die Wirtschaft im Osten sei kleinteilig, deshalb falle das Steueraufkommen geringer aus als im Westen. Ohne Finanzausgleich wären die Unterschiede zwischen Ost und West noch größer als jetzt.