Die SPD stimmt sich auf den Wahlkampf ein, bekommt Besuch von Bill Gates - und weist die Annäherungsversuche der Union zurück.

Potsdam. Sigmar Gabriel war der Gast am Montagmorgen ein längerer Beitrag auf seiner Facebook-Seite wert: Der SPD-Vorsitzende postete ein Foto, das ihn neben Bill Gates sitzend zeigt. Der Gründer von Microsoft hatte die Vorstandsklausur der Sozialdemokraten besucht - ausdrücklich in der Eigenschaft als Vorsitzender seiner Stiftung. Eine Viertelstunde lang referierte Gates im Inselhotel zu Potsdam-Hermannswerder über Entwicklungspolitik. Eine weitere Viertelstunde sprachen die führenden Köpfe der SPD mit ihrem Gast. Dazu verkündete Gabriel auf seiner Seite bei Facebook: "Wir wollen unseren Anteil dazu beitragen, die Millennium-Entwicklungsziele bis 2015 zu erreichen." Weder der rot-grünen noch der Großen Koalition war es gelungen, den Anteil der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen.

Nicht aber die Entwicklungshilfe, die auch bei der SPD noch immer als Exotenthema gilt, dominierte die Beratungen der Parteiführung mit den Ministerpräsidenten, Vertretern von Bundestagsfraktion und Landesverbänden. Es ging zwei Tage lang darum, mit welchen Themen und Thesen man den Bundestagswahlkampf zu bestreiten gedenkt. Die soziale Gerechtigkeit, Kernkompetenz der SPD auch in ihrem 150. Jahr des Bestehens, so lautete die Botschaft, soll im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen. Dabei berufen sich die Genossen auch auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Während sich Gabriel auf Barack Obama beruft und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ihn gar zitiert, gehen sie auf die Debatten in der Union nach der jüngst verlorenen Landtagswahl in Niedersachsen nicht ein. Die SPD ignoriert die politischen Annäherungen aus Reihen der CDU/CSU. Kein Wort zum Hinweis der Union, sie werde "keinen Koalitionswahlkampf führen". Keine offizielle Reaktion auf die Ankündigung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, mit eben der sozialen Gerechtigkeit um Stimmen werben zu wollen. Auch die Grußadresse der CDU-Vorsitzenden, Kanzlerin Angela Merkel, zur Gründung der SPD vor 150 Jahren in deren Parteizeitung "Vorwärts" blieb in Potsdam unerwähnt.

Die "sozialen und kulturellen Spaltungen" werde die SPD thematisieren, sagte Parteichef Gabriel, geißelte die Geburtstagsgratulantin Merkel als "kühle Verwalterin der Verhältnisse" und kündigte einen "leidenschaftlichen Blick" auf ebenjene Verhältnisse an. "Wir sind gut aufgestellt für dieses wichtige Wahljahr", sagte Gabriel. Dreimal attackierte er die schwarz-gelbe Koalition als "Regierung in Auflösung" - auf dass das Gespenst einer Großen Koalition nicht wieder auftauche. So etwas demobilisiert und demotiviert schließlich die eigenen Truppen. Mit Freude in der Stimme treibt Gabriel den Keil noch stärker zwischen die sehr unterschiedlichen Partner in der Koalition. "Ein abenteuerliches Stück" sei die Rentendebatte innerhalb der Bundesregierung, in der "jeder gegen jeden" arbeite, sagte er.

Kanzlerkandidat Steinbrück attackierte die Kanzlerin ebenfalls. "Frau Merkel hat sich von den realen Lebensverhältnissen in Deutschland entfernt", polterte Steinbrück, während die SPD sich darum kümmere, "was den Menschen unter den Nägeln brennt". Die Gerechtigkeit werde "zentrales Thema" des Wahlkampfes, sagte der Mann, der in den vergangenen Jahren seine Partei stets aufgerufen hatte, ihre wirtschaftliche Kompetenz nicht zu vernachlässigen. "Fast dieselbe Tonlage" wie Obama werde die SPD anschlagen, prognostizierte Steinbrück. In einem recht ausführlichen Vortrag schilderte er während einer Pressekonferenz am Montagnachmittag die bekannten Positionen seiner Partei.

Nach der knapp gewonnenen Landtagswahl in Niedersachsen ist die Stimmung in der Sozialdemokratie wieder aufgeräumt. Gabriel erwähnte gleich zu Beginn seines Presse-Statements den neben ihn stehenden "Peer Steinbrück", das hatte er zuletzt nicht immer so gehalten. Der wiederum nahm während seines Vortrags mehrfach Bezug auf "Herrn Gabriel". Auf eine Frage hin war sogar wieder ein lachender Steinbrück zu sehen, er fletschte ziemlich ausgiebig seine Zähne, und seine Augen blitzten vergnügt. Das war, als Steinbrück auf sein Kompetenzteam angesprochen worden war. In der Sache sagte er hier indes nichts Neues. Ziemlich bescheiden sprach er nicht etwa von "meinem Team", sondern davon, dass er der SPD dessen Zusammensetzung "empfehlen" werde. Paritätisch werde dieses Kompetenzteam besetzt, wiederholte sich Steinbrück. Diese nicht zu große Mannschaft werde für jedes Mitglied mehrere "politische Felder" vorsehen. Steinbrück also will das Ressortprinzip durchbrechen, und der Begriff "Schattenkabinett" soll ohnehin tabu sein.

Bis April bestehe der SPD-Wahlkampf aus einer "Dialogphase", berichtete der Kanzlerkandidat. Er wolle weiter mit den Menschen reden und ihnen zuhören, es gebe "keinen Frontalunterricht". Im Februar, so ist in Parteikreisen zu vernehmen, werde das Regierungsprogramm der SPD vorgestellt. Verabschiedet werden soll dies am14. April bei einem außerordentlichen Parteitag in Augsburg. In einer zweiten Phase, ab Mitte April, beginne die Mobilisierung, endend mit dem Deutschlandtag der SPD Mitte August in Berlin.

In der dann beginnenden heißen Wahlkampfphase will die SPD viel Energie investieren in die letzten Tage, ja Stunden vor der Wahl. Das ist die Konsequenz aus dem Trend zu immer späterer Wahlentscheidung, über die bei der Klausur auch der Meinungsforscher Richard Hilmer von Infratest dimap berichtet hatte.

Zu Gabriels Ankündigung, die SPD werde dazu beitragen, die Millennium-Entwicklungsziele bis 2015 zu erreichen, äußerte sich Steinbrück zurückhaltend. Jene Marke sei "sowieso nur über Jahre zu erreichen", sagte der Kanzlerkandidat. Die Absicht der SPD "erstreckt sich nicht über die nächsten Haushaltsjahre". Gabriel distanzierte sich sogleich von seiner eben erst verkündeten Parole. Das Ziel von 0,7 Prozent könne man nicht für die kommenden drei bis vier Jahre versprechen, man werde aber den Anteil weiter steigern, ansonsten gelte: "Mehr kann man nicht versprechen."