Bildungsministerin soll in ihrer Doktorarbeit getäuscht haben. Hochschul-Rektor: Wissenschaftlicher Betrug verjährt nicht.

Düsseldorf/Hamburg. Monatelange Diskussionen, mehrere Gutachten und hitzige politische Debatten münden in das nächste spektakuläre Verfahren um eine Doktorarbeit einer prominenten Politikerin. Die Universität Düsseldorf eröffnet jetzt ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). Das kündigte der Vorsitzende des zuständigen Fakultätsrats, Professor Bruno Bleckmann, am späten Dienstagabend an. Das Gremium folgte damit der Empfehlung der Promotionskommission, die die aus dem Jahr 1980 stammende Dissertation Schavans geprüft hatte.

Der Fakultätsrat habe in geheimer Abstimmung mit 14 Jastimmen und einer Enthaltung für die Einleitung des Hauptverfahrens gestimmt, sagte Bleckmann. "Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass das Verfahren ergebnisoffen ist." Für den 5. Februar sei eine weitere Sitzung des Fakultätsrats angesetzt. Dann werde über die Fortsetzung des Verfahrens beraten.

Das Verfahren wird eine Diskusion darüber auslösen, ob Schavan als Ministerin, die für Wissenschaft und Forschung verantwortlich ist, im Amt bleiben kann. Die Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sie offenbar. Allerdings hatte Merkel auch bei Guttenberg betont, sie habe keinen Doktoranden, sondern einen fähigen Politiker ins Kabinett bestellt.

Im März 2011 war Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zurückgetreten, weil er in seiner Dissertation abgeschrieben und getäuscht hatte. Auch den FDP-Politikern Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis wurden wegen Plagiatsnachweisen ihre Doktortitel aberkannt. Die Stoiber-Tochter Veronica Saß verlor ebenso ihren Titel. Bei mehreren Politikern laufen noch die Verfahren.

Schavan werden Verstöße gegen die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens vorgeworfen. Dabei geht es nicht in erster Linie um handfeste Plagiate, sondern vor allem um nachlässiges Zitieren aus Quellen, die Schavan offensichtlich nicht im Original gelesen hat. Das hätte sie tun müssen. Außerdem hat sie nach Darstellung der Plagiatsjäger von "schavanplag" entgegen ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht alle Quellen zitiert, die sie verwendet hat.

Schavans Arbeit, die sie ohne vorherigen akademischen Abschluss schrieb, heißt "Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung". Verfasst wurde die Schrift mit über 300 Seiten auf der Schreibmaschine. Die Arbeit wurde mit "magna cum laude" bewertet, der zweitbesten Benotung. Schavan hatte stets behauptet, nicht getäuscht zu haben und sich wehren zu wollen.

Wissenschaftsstreit über Prüfverfahren

Die Entscheidung über Schavans mutmaßliches Plagiat wird begleitet von einem heftigen Wissenschaftsstreit über das Prüfverfahren der Uni und die Tragweite der angeblichen Zitierfehler Schavans. Der Rechtswissenschaftler Rüdiger Wolfrum kritisierte in der "Rheinischen Post" das Prüfverfahren und forderte einen zusätzlichen externen Gutachter. Der Schweizer Literaturforscher Philipp Theisohn, der mehrere Bücher über Plagiate in der Wissenschaft geschrieben hat, sieht keinen Grund, Schavan die Doktorwürde zu entziehen. Er verwies auf zeitgebundene Besonderheiten der Arbeit. In der Pädagogik sei es vor etwa 30 Jahren gängig gewesen, Thesen zu sammeln und umzuschreiben, sagte er der "Rheinischen Post". Eine bewusste Täuschungsabsicht sei daher schwer vorstellbar. Schavans Dissertation referiere vor allem. "Eine eigene Position ist oft nur rudimentär entwickelt."

Der Juraprofessor Gerhard Dannemann, der beim Plagiateportal VroniPlag mitarbeitet, sagte im Deutschlandfunk: "Diese Arbeit hätte nicht als Doktorarbeit angenommen werden dürfen. Es sind zu viele grobe Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis drin", sagte er. Die Frage sei aber, ob angesichts "krasserer Fälle" der Doktortitel aberkannt werden müsse. Er halte den Ausgang des gesamten Verfahrens für offen. Sollte die Uni ihr den Titel entziehen, könnte Schavan innerhalb eines Monats vor dem Verwaltungsgericht dagegen klagen.

Ein erster vertraulicher Bericht des Judaistik-Professors Stefan Rohrbacher war im Herbst in die Öffentlichkeit lanciert worden. Darin wirft er Schavan eine Täuschungsabsicht vor. Nach Kritik am Durchsickern der Informationen verschärfte die Uni die Sicherheitsmaßnahmen für die Gremien-Sitzung. Der Fakultätsrat tagte an einem unbekannten Ort auf dem Uni-Campus.

Der Rektor der Heinrich-Heine-Universität, Prof. Michael Piper, sagte vor einigen Tagen, die Wissenschaft lege ihre strengen Kriterien an die Arbeit von Schavan an. Die Universität lasse sich nicht unter Druck setzen und habe im bisherigen Prüfverfahren juristisch korrekt gehandelt. Es gelte das strikte Fälschungs- und Plagiatsverbot. Die Qualitätskontrolle der Wissenschaft kenne keine Verjährung. "Deswegen sind wir es uns und unseren 23.000 Studierenden schuldig, dass wir gegenüber einer ehemaligen Studentin, die heute Ministerin ist, keine anderen Maßstäbe anlegen als gegenüber jedem Einzelnen von Ihnen", sagte Piper den Gästen des Neujahrsempfangs.

Schavan will wieder für den Bundestag kandidieren. Am Freitag kürt der CDU-Kreisverband Alb-Donau/Ulm den Kandidaten für die Bundestagswahl im September - und Schavan stellt sich ohne Gegenkandidaten zur Wahl. Sie vertritt seit 2005 als Direktkandidatin den Wahlkreis.

In den USA ist der ausgewanderte Guttenberg wegen seines Plagiats-Skandals in Ungnade gefallen. Studenten und Professoren des Dartmouth College im Bundesstaat New Hampshire erreichten mit einer Petition, dass Guttenberg eine Rede zu "Transatlantischen Wirtschafts- und Sicherheitsbeziehungen" absagte, wie die Universitätszeitung schrieb.