Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm kritisiert Mängel in der Reform der Verkehrssünderkartei. Auto Club fürchtet teureren Führerschein.

Berlin/Goslar. Viel auf dem Konto haben, ist meistens gut - aber nicht immer: Wer fleißig Punkte aufs Konto bei der Flensburger Verkehrssünderkartei schaufelt, wird das Autofahren schnell nur noch aus der Perspektive des Beifahrers erleben. Das Punktesystem ist derzeit in der Diskussion. Die Bundesregierung legte Reformvorschläge vor, doch Fachleute sehen darin nun zahlreiche Probleme. Kurz vor dem Beginn der größten Expertenkonferenz zum Thema, dem Verkehrsgerichtstag in Goslar, kritisierte Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm das System als nicht ausgewogen genug.

Das neue Punktesystem sei stellenweise schärfer und hebele den Grundgedanken der Erziehung aus, der im Verkehrsrecht seit den 1960er Jahren vorherrsche, sagte Nehm. Er ist Präsident des am Mittwoch beginnenden Verkehrsgerichtstages in Goslar. Ab Donnerstag wird ein Arbeitskreis die Reform auseinandernehmen.

Nehm vermisst beim im Dezember vom Bundeskabinett beschlossenen Papier ein Stück Gerechtigkeit: „Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf entfernt sich leider in entscheidenden Punkten von den ursprünglichen Vorstellungen des Verkehrsministers.“ So ist es Verkehrsrowdys laut dem Gesetzentwurf nicht mehr möglich, durch Seminare Punkte abzubauen. Nehm hingegen meint, wer sonst rechtstreu sei und jeden Tag „auf dem Bock sitze“, müsse die Chance haben, dass Sünden in angemessener Zeit vergessen werden.

Nehm ruft zu Nachsicht mit Verkehrssündern auf

„Jeder von uns weiß, dass man aus Nachlässigkeit oder Unaufmerksamkeit Verkehrsverstöße begehen kann“, sagte Nehm und fügte an: „Derartige Fehler dürfen auch bei Wiederholung innerhalb von fünf oder mehr Jahren nicht gleich zur Existenzgefährdung führen.“ Auch dies passe nicht zum Erziehungsgedanken, der im Verkehrsrecht gelte. Auch der Auto Club Europa kritisierte die Reform als „nicht gut gemacht“. Sie mache das Punktesystem nicht wie versprochen einfacher, gerechter und transparenter.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hatte im Frühjahr Eckpunkte für eine Reform des Punktesystems vorgelegt, die der einstige deutsche Chefankläger Nehm als „überzeugend“ wertete. Dann habe es noch Abänderungen gegeben, die im Dezember vom Bundeskabinett verabschiedet wurden. „Was jetzt herausgekommen ist, hat einen ganz erheblichen Beratungsbedarf nach sich gezogen“, sagte Nehm. Zentraler Inhalt der Refom ist, dass für einzelne Taten künftig weniger Punkte vergeben werden sollen. Doch schon bei acht statt 18 soll der Führerschein entzogen werden.

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, hatte die Teilnehmer des Verkehrsgerichtstages in einem dapd-Gespräch vom Montag aufgefordert, symbolisch härter gegen Rowdys vorzugehen. „Die geplante Reform kommt in der Wahrnehmung der Betroffenen als Lockerung an“, bemängelte der Grünen-Politiker. Hofreiter schlug den Experten im Sinne der Sicherheit vor, besonders auf die Außenwirkung zu achten: „Mir ist es wichtig, dass die Intensivtäter den Eindruck mitnehmen, die Strafen würden verschärft.“

Fachleute befürchten Verteuerung der Ausbildung am Steuer

Unterdessen starben auf deutschen Straßen im vergangenen Jahr weniger Menschen. Von Januar bis November kamen laut dem Statistischen Bundesamt 3.358 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben. Das waren 7,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

In die Kritik gerieten zudem die Kosten für den Führerschein, der heute schon mit im Schnitt 1.800 Euro den Geldbeutel belastet. Der Auto Club Europa befürchtete steigende Kosten, falls eine verlängerte Ausbildung eine Mehrheit findet. Im Gespräch unter Fachleuten sind Kontroll-Fahrstunden, die Neulinge im ersten Jahr am Steuer verpflichtend absolvieren sollen. Etwa jeder vierte Aspirant (28 Prozent) rasselte 2011 nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes durch die theoretische oder die praktische Prüfung.