Die Wahl des FDP-Vorsitzenden soll früher stattfinden. Der Parteichef will im Amt bleiben. Genscher gibt Rösler Rückendeckung.

Berlin. Bald 40 Jahre ist Rainer Brüderle nun in der FDP. Er kennt diese Partei aus dem Effeff, sowohl die lieben Kollegen, diesen "sympathischen Haufen von Freidenkern", als auch die letzten Verästelungen der Satzung.

Das gehört vorweg erwähnt, wenn man Brüderles jüngste Forderung einordnen will. Im Rahmen einer ansonsten harmlosen Plauderei im "Morgenmagazin" der ARD plädierte der Fraktionsvorsitzende im Bundestag dafür, den für Mai geplanten Bundesparteitag mit einer Neuwahl der Führung auf einen Termin "etwa Anfang März oder Ende Februar" vorzuziehen. Das sagt sich leicht dahin, ist aber mit einigen Komplikationen verbunden.

Ein Parteitag ist das oberste Organ der FDP, seine Beschlüsse sind für alle Mitglieder und Gliederungen bindend. Deshalb ist die Einberufung detailliert geregelt. Fristen müssen eingehalten, die Delegierten von ihren Landesverbänden aufgestellt und mit sechs Wochen Vorlauf eingeladen werden. Änderungen der Satzung sind zwölf Wochen vor einem Parteitag zu beantragen, gar 16 Wochen vorher müssen die Antragsteller schriftlich auf diese Frist hingewiesen werden. Werden diese Formalien nicht eingehalten, könnten Delegierte wegen Verletzung ihrer Rechte klagen.

Dazu kommt der finanzielle Aspekt. Die Tagungshalle in Nürnberg ist für Mai längst gebucht, für einen hohen sechsstelligen Euro-Betrag. Wird die Veranstaltung nun verlegt, verursacht das für die klamme FDP erhebliche Kosten.

All das ist Brüderle bekannt. Dass er dennoch ein Vorziehen fordert, kann mithin nur einen Grund haben: Er ist sich mit Parteichef Philipp Rösler nicht einig geworden, wie es nach der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag weitergehen soll.

Rösler hatte zuletzt mehrfach angekündigt, er wolle Präsidium und Vorstand am Montag diesbezüglich einen Vorschlag machen.

Dabei hatte er in immer größerer Deutlichkeit durchblicken lassen, dass er selbst am Amt des Vorsitzenden festhalten und an seiner Seite ein Team formieren will - jedenfalls, wenn der Sonntag für die FDP einigermaßen erfolgreich ausgeht. "Ans Aufhören denke ich nicht", sagte er der "Rheinischen Post".

Offenbar hält Brüderle die Rolle, die er in Röslers Mannschaft erhalten soll, für nicht ausreichend. Deshalb stellt er sich nun an die Seite von Röslers schärfsten Kritikern. Zu diesen für den Vorsitzenden nur begrenzt sympathischen Freidenkern gehören Dirk Niebel, Hermann Otto Solms oder Wolfgang Gerhardt. Sie glauben nicht an eine Zukunft der Liberalen mit Rösler und wollen ihn von Brüderle abgelöst sehen. Das Mittel dazu: ein vorgezogener Parteitag.

Öffentlich aber gibt sich Brüderle noch bedeckt. In der ARD beteuerte er am Freitag, er unterstütze Rösler. "Man kann die Situation der Partei nicht reduzieren nur auf den Vorsitzenden. Das ist immer Teamarbeit." Er halte es "nicht für wahrscheinlich", dass Rösler nach der Niedersachsen-Wahl seinen Job zur Verfügung stellen werde. Auf die Frage, ob er selbst für den Chefposten bereitstehe, antwortete der 67-Jährige: "Über ungelegte Eier diskutiere ich nicht."

Aber andere. Für einen vorgezogenen Parteitag tritt nun auch der im liberalen Machtkampf bislang zurückhaltende Christian Lindner ein. "Rainer Brüderle hat sehr bedenkenswerte Argumente geliefert. Wir würden seiner Empfehlung folgen", sagte der Landeschef von Nordrhein-Westfalen. Damit positioniert sich Lindner erstmals öffentlich gegen Rösler und gab den Spekulationen, er könne Brüderle künftig als stellvertretender Parteichef flankieren, neue Nahrung.

Der so in die Zange genommene Vorsitzende erhielt aber auch Unterstützung. Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein zum Beispiel sagte, er verstehe die Forderung zum jetzigen Zeitpunkt nicht, "weil wir am Montag im Bundesvorstand über die weitere Arbeitsplanung sprechen". Dort gehöre die Debatte hin, nicht in den Endspurt der wichtigen Landtagswahl in Niedersachsen.

Auch der dortige Spitzenkandidat Stefan Birkner reagierte mit Unverständnis. "Ich habe überhaupt keinen Sinn für solche Diskussionen", sagte Birkner der "Welt". Er appellierte an seine Partei, die Wahl abzuwarten: "Die Frage, wann der Bundesparteitag abgehalten wird, sollten wir ab Montag in den geeigneten Gremien besprechen." Die Hamburger Landesvorsitzende Sylvia Canel flüchtete sich in Galgenhumor: "Mittlerweile finde ich einen Parteivorsitzenden, der schweigt, besser als eine offene Diskussion in den Medien über die Führung der Partei."

Gesundheitsminister Daniel Bahr betonte, die FDP werde in den Bundestagswahlkampf als Team ziehen, und Rösler werde die Aufstellung für 2013 vorgeben. "Ein gutes Ergebnis in Niedersachsen ist eine Stärkung des Vorsitzenden wie der gesamten FDP-Führung", sagte Bahr der "Super Illu".

Unerwartete Rückendeckung erhielt Rösler auch vom Ehrenvorsitzenden der Partei, Hans-Dietrich Genscher. Der frühere Außenminister gilt nicht unbedingt als ein Anhänger des Vizekanzlers. Anders als 2012 in Nordrhein-Westfalen hatte er sich lange geziert, aktiv in den Wahlkampf in Röslers Heimat Niedersachsen einzugreifen.

Am Freitag aber trat er in Hannover auf. Er rechne damit, sagte Genscher, dass Rösler durch ein gutes Ergebnis neuen Rückenwind erhalte: "Niedersachsen ist auch Rösler, ein Wahlerfolg in Niedersachsen für die FDP ist vor allem ein Erfolg für Rösler." Im Übrigen teile er die Kritik am Vorsitzenden nicht: "Er ist ein guter Mann."

Ob er gut genug ist für eine weitere Amtszeit als Vorsitzender, darüber wird in den Sitzungen von Präsidium und Vorstand am Montag zu entscheiden sein. Rösler jedenfalls wird auf die Teilnahme an Wahlpartys in Hannover verzichten und am Sonntag in Berlin bleiben. Auch das macht deutlich: Es ist noch nicht entschieden, ob er dem Druck nachgeben wird.