Angela Merkel besucht zum Auftakt des Wahljahres einen Gewerkschaftsbund, der weiß, was er an ihr hat. Kritik konzentriert sich auf die FDP.

Berlin. Das Lob war schon da, bevor Merkel angekommen war. Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hatte nicht nur die Kanzlerin zur Klausurtagung seines Vorstandes geladen, sondern auch auf allen medialen Kanälen verbreitet, dass er sie schätze. Angela Merkel hat im siebten Jahr ihrer Kanzlerschaft ein Kunststück vollbracht, dass die SPD-Konkurrenz wütend macht und den eigenen Wirtschaftsflügel nachdenklich: Die Arbeitnehmervertreter fühlen sich bei der Kanzlerin gut aufgehoben.

Die Annäherung erfolgt von beiden Seiten. Merkel, die lange eine Verfechterin eines möglichst wenig regulierten Arbeitsmarktes war, hat als Kanzlerin die Gewerkschaften als Verbündete entdeckt. Spätestens seit der Finanzkrise. Damals griff sie als Regierungschefin einer Großen Koalition gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Arbeitsminister Olaf Scholz mit den Konjunkturpaketen und den Regelungen für Kurzarbeiter DGB-Vorschläge auf, die sich in ihren Augen in Erfolge verwandelten.

Merkel nutzte auch geschickt das Gerd-Schröder-Trauma, das die Gewerkschafter immer noch quält. Für diesen Sozialdemokraten machten sie gegen Helmut Kohl Wahlkampf, um anschließend von der Agenda 2010 überrascht zu werden. Schröder hat diese Reformen nicht mit, sondern gegen die Gewerkschaften gemacht. Ähnliches hat Merkel nie versucht, wofür Sommer sie einmal mit den Worten lobte: "Wo Schröder Basta sagte, fängt Merkel an zu argumentieren." Seit Merkel nicht mehr mit der SPD, sondern mit der FDP regiert, geriert sie sich teilweise sogar als Hüterin gewerkschaftlicher Interessen auch und gerade gegen den Koalitionspartner. Zuletzt war dies Beispiel um den Jahreswechsel zu erleben. FDP-Chef Philipp Rösler, immerhin Merkels Vize-Kanzler, hatte ein Papier lanciert, indem er eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes forderte. Die CDU-Antwort kam prompt: Merkels Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte den Kündigungsschutz für unantastbar und ließ bei einer Vorstandsklausur ohne Not noch einmal einen gesetzlichen Mindestlohn beschließen, um auf maximale Distanz zur FDP zu gehen.

Als die Christdemokratie etwa vor einem Jahr ihre Programmatik veränderte und sich zu "Lohnuntergrenzen" bekannte, ließ Merkel vorab über einen Vertrauten sondieren, ob Sommer mit diesem Modell leben könne. Die "Papierlage" in der Union werde "immer besser", lobte Sommer die Beschlüsse schließlich. Nun müsse nur noch "die Faktenlage" folgen. Den Schuldigen, dass aus Merkel-Papieren keine Merkel-Politik wird, hat Sommer auch gefunden: Die FDP. "Es gibt Parteien, mit denen man prinzipiell wahrscheinlich nicht weiterkommt, wie mit der FDP; es gibt andere, mit denen kann man weiterkommen, zum Beispiel der CDU", fasst Sommer das zusammen. Folgerichtig agitiert die Gewerkschaft nicht mehr gegen das bürgerliche Lager, sondern nur noch gegen die FDP. Deren Brüskierung geschieht wenig subtil. Anders als Merkel, den SPD-Kandidaten Peer Steinbrück und den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann trifft der DGB keinen Liberalen im Umfeld seiner Vorstandsklausur. Bemerkenswerterweise allerdings auch keinen Vertreter der Linkspartei, was diese zu einem Protestschreiben veranlasste.

Kann man Merkel loben und die FDP, die doch ihre Regierung mitträgt, schmähen? Ja, man kann: "Schwarz-Gelb hat bewiesen, dass sie es nun wirklich nicht können", hatte Sommer schon am Morgen gesagt. "Handwerklich und inhaltlich schlecht", sei die Regierungspolitik, so Sommer: "Die will ich nicht mehr!" Es klang, als wolle die Gewerkschaft zwar nicht zum Sturz der Kanzlerin, sehr wohl aber zum Auswechseln ihres Partners aufrufen.

Doch der war ja an diesem Vormittag nicht dabei. So unterhielt sich die Merkel eineinhalb Stunden mit den Gewerkschaftern. Von der Energiewende über das Lebenslange Lernen bis zur Kriminalität in Altenpflegeheimen. "Problemorientiert" und "sachlich" sei das Gespräch gewesen, "so wie wir es mit der Kanzlerin gewohnt sind", sagt Sommer schon wieder lobend. Auch der kritische Punkt "Arbeitnehmerdatenschutz" wurde angesprochen. Er hoffe, dass es hier zu einer Lösung komme, sagt Sommer, der durch die neue Regelungen eine permanente Überwachung und "George Orwell am Arbeitsplatz" befürchtet. Der Kanzlerin bescheinigt er, sie sei bei diesem Thema "durchaus sensibilisiert". Es gebe doch eine ganze Reihe von den Themen, "bei denen wir vorangekommen sind", lobt Merkel ihre Regierung und erwähnt Mindestlöhne und den Kampf gegen die Altersarmut.

Die Bilder von Handschlag und Lächeln zwischen der CDU-Vorsitzenden und dem DGB-Chef können der SPD nicht gefallen haben. Deren Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat seine Partei in den wichtigen Feldern Arbeit, Rente und Steuern auf einen neuen linken Kurs gesteuert und deutlich an die Gewerkschaften herangeführt. Dies zahlt sich noch nicht aus. Ob die Chefs der mächtigen Einzelgewerkschaften sich im Wahlkampf doch noch stärker für die Genossen engagieren? Das könnte auch damit zu tun haben, wie realistisch eine weitere Legislaturperiode von Schwarz-Gelb wird. Denn das bürgerliche Bündnis ist immer noch ein Schreckgespenst für die Arbeitnehmervertreter und könnte die Gewerkschafter mobilisieren. Merkel allein erschreckt schon lange keinen Gewerkschafter mehr.