Es gehört schon fast zum guten Ton, dass die Kanzlerin einmal im Jahr den Gewerkschaftsbossen ihre Aufwartung macht. Auch im Wahljahr.

Berlin. Sie hatte sich rund 90 Minuten Zeit genommen, um sich mit der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes über aktuelle Themen auszutauschen: Mindestlohn, Altersarmut, Werkverträge, lebenslanges Lernen, Kriminalitätsbekämpfung. Um das Ergebnis der Unterredung in der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mitzuteilen, reichten der Kanzlerin dann genau 180 Sekunden. Und weg war sie. Fragen an Angela Merkel waren nicht vorgesehen.

Der kurze öffentliche Auftritt zeigt gleichwohl: Merkel kann mit den Vertretern der Arbeitnehmer. Die Frau, die ihre Partei zum Missfallen vieler CDU-Mitglieder regelrecht sozialdemokratisiert hat, weiß sehr wohl, was Gewerkschafter gerne hören. Sie lobt die Tarifautonomie in Deutschland – und die DGB-Mitglieder als „starke Säule“. Die Kanzlerin punktet damit, dass sie den von den Gewerkschaften schon lange angeprangerten Missbrauch von Werkverträgen unter die Lupe nehmen lassen will und ankündigt: „Hier werden wir in Zukunft ein Auge drauf haben müssen, weil immer öfter auch Werkverträge ein Umgehungstatbestand sein können für vernünftige tarifliche Abmachungen.“

Und dass sie beim Streitthema Arbeitnehmer-Datenschutz sich der massiven Gewerkschaftskritik nicht verschließt, ist DGB-Chef Michael Sommer eine positive Anmerkung wert: Die Bundeskanzlerin sei in dieser Frage „durchaus sensibilisiert“. Ob das für eine Änderung im Sinne der Beschäftigten reicht, muss sich aber erst noch zeigen. Der Auftritt war übrigens gut vorbereitet: Erst am vergangenen Wochenende hatte Merkel die Rolle der Gewerkschaften bei der Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise gewürdigt. „Auf der einen Seite hat die Regierung Vorschläge für die Überwindung der Krise gemacht, auf der anderen Seite konnten wir sehen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter diese Vorschläge aktiv umgesetzt haben.“

DGB-Chef Michael Sommer seinerseits lobte vor dem Treffen die Arbeit der Kanzlerin: Dank ihr habe es immerhin keine gravierenden Angriffe auf Arbeitnehmerrechte gegeben, sagte er der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Prügelknabe der Gewerkschaften ist eher die FDP, die sich der Einführung eines allgemeinverbindlichen Mindestlohnes – die CDU spricht von einer Lohnuntergrenze – bislang beharrlich in den Weg stellt.

Ein wenig misstrauisch wird das Kuscheln von Kanzlerin und Gewerkschaften im Wahljahr bei den anderen Parteien registriert. „Der DGB kann einladen wen immer er will“, heißt es ein wenig spitz bei der SPD. Registriert wird dort sehr wohl Sommers Schulterklopfen bei der Kanzlerin und das inhaltliche Näherrücken der Merkel-CDU an DGB-Positionen. Abzuwarten bleibt, wie sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bei den DGB-Granden schlägt: Er ist an diesem Mittwoch als Gast in die Vorstandsklausur geladen.