Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen sollte die Fälle untersuchen. Leiter Pfeiffer wirft Bischöfen Zensur vor.

Trier/Hannover. Geplant war ein Befreiungsschlag - herausgekommen ist ein Eigentor: "Aus wichtigem Grund und mit sofortiger Wirkung" hat die Deutsche Bischofskonferenz den Vertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) des Hannoveraner Professors Christian Pfeiffer aufgekündigt. Das Institut war nach den im Jahr 2000 bekannt gewordenen Missbrauchsskandalen am Berliner Canisius-Kolleg beauftragt worden, die europaweit bislang größte Studie zu priesterlichem Kindesmissbrauch anzufertigen. Der Skandal und der spätere Umgang mit ihm hatte das Vertrauen in die Kirche massiv erschüttert, die Studie sollte den Beginn einer neuen Offenheit im Umgang mit dem sensiblen Thema symbolisieren. Nun liegt das Projekt auf Eis, Vertreter mehrerer Erzbistümer werfen dem KFN-Chef Vertrauensbruch und mangelhaftes Kommunikationsverhalten vor. Das Verhältnis kirchlicher Verantwortungsträger zur Person Pfeiffer sei zerrüttet, sagt der Trierer Bischof und Missbrauchsbeauftragte der Katholischen Kirche, Stephan Ackermann. Pfeiffer spricht hingegen von "Zensur und Kontrollwünschen" der kirchlichen Würdenträger.

Auf drei Jahre war die Studie "Der sexuelle Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" angelegt. Letztere sollte die Auftragsarbeit auch finanzieren. Mithilfe der wissenschaftlichen Aufarbeitung erhofften sich die Bischöfe, dass Systematiken deutlich werden, neuer Missbrauch verhindert und Vertrauen zurückgewonnen werden könne. Im Auftrag des KFN sollten unabhängige Juristen, meist pensionierte Richter und Staatsanwälte, Personalakten von Geistlichen in den 27 deutschen Bistümern sichten. In neun Diözesen sollte der Bestand ab 1945 untersucht werden. Zudem war geplant in Zusammenarbeit mit dem Berliner Institut für Sexualpsychologie, Missbrauchsopfer zu befragen. Am Mittwoch - noch bevor die eigentliche Forschungsarbeit hatte beginnen können - gab Bischof Ackermann das vorzeitige Aus des Langzeit-Projekts bekannt. Das noch nicht verbrauchte Geld solle zurückgefordert, ein anderes Institut mit der Studie beauftragt werden, sagte er in Bonn. Grund für den Sinneswandel: Einige Bistümer hatten gegen die KFN-Erhebungsmethoden protestiert und den Datenschutz gefährdet gesehen. Dass Pfeiffer in zwei Schreiben an den Verband der Diözesen seinen Verdacht äußerte, einige Bistümer hätten Akten über Missbrauchsfälle vernichtet, brachte das Fass zum Überlaufen.

Der Kriminologe habe "immer wieder Absprachen uminterpretiert" und "Signale gesetzt, die die Bischöfe befürchten ließen, dass er Dinge ohne Absprache öffentlich machen könnte", so Ackermann. Die Bischöfe müssten zwischen dem Forschungsinteresse und den sensiblen Fragen von Daten- und Personenschutz abwägen.

In den Worten des Hannoveraner Kriminologen klingt die Vorgeschichte des Zerwürfnisses anders. Vor allem das Erzbistum München/Freising, später auch das Erzbistum Regensburg hätten den einvernehmlich mit allen Bistümern geschlossenen Vertrag nachträglich ändern wollen, so Pfeiffer. Alle Texte hätten demnach zur Genehmigung vorgelegt werden sollen. Pfeiffer: "Sie haben uns klargemacht, dass sie dann auch das Recht haben, die Veröffentlichung von Texten zu verbieten. Nachdem zwei Mitarbeiter des Projekts, darunter auch die stellvertretende Leiterin, ihre Mitarbeit entnervt aufgekündigt hätten, so Pfeiffer weiter, habe es Versuche gegeben, die Auswahl neuer Mitarbeiter zu beeinflussen. Dass der Datenschutz bei der Studie gefährdet werde, wollte Pfeiffer nicht bestätigen. Lediglich Täterakten sollten an das Institut weitergeleitet werden, die Sortierung der Personalakten sollten jeweils Bistumsmitarbeiter übernehmen. Nur in Zweifelsfällen hätte ein ehemaliger Richter zu Rate gezogen werden sollen, dem anonymisiert entsprechende Fälle geschildert worden wären.

So oder so: Nach Beendigung der ersten großen Studie zum Thema - der Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Uni Duisburg-Essen hatte zuvor den Zusammenhang der Missbrauchsfälle mit pädophilen Neigungen untersucht - wollen die führenden Bischöfe nun "in den kommenden Wochen" eine neue Studie in Auftrag geben. "Von einem Rückzieher bei der Aufarbeitung kann deshalb keine Rede sein", sagt Ackermann. "Wir halten es nach wie vor für wichtig, systematisch Licht ins Dunkel zu bringen."

Ähnlich sieht es auch der Hamburger Erzbischof Werner Thissen:

"Es war im Laufe des Prozesses nicht mehr klar, ob es mehr um die Selbstdarstellung des Instituts oder die Aufklärung der anstehenden Fragen geht. Als Auftraggeber sind wir für den Datenschutz verantwortlich, und hier gab es mit dem Institut keine Übereinstimmung. Ich bedaure die Trennung, wir werden mit einem anderen Institut weiterarbeiten."

Kriminologe Pfeiffer will auf eigene Rechnung weiter am Thema forschen: "Wir versuchen zu retten, was zu retten ist", sagte er im Deutschlandfunk. "Wir bitten bundesweit alle Opfer, die wir sonst über die Kirche gebeten hätten, sich bei uns zu melden." 2010 habe er bereits im Auftrag der Bundesregierung 11.500 Menschen zu ihrer möglichen Opferrolle befragt und Informationen über 500 Personen erhalten, die Opfer von Lehrern, Eltern oder Familienangehörigen wurden. "Diese Daten möchten wir vergleichen mit den Angaben derer, die Opfer von Priestern geworden sind."

Enttäuscht über die Verzögerungen bei der Aufarbeitung zeigte sich das Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt "netzwerkB". Die Kirche sei noch nicht so weit, sich zu öffnen, sagte ein Sprecher. Das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung sei gescheitert.