Immer mehr Deutsche gehen vorzeitig in den Ruhestand. Unternehmen locken Mitarbeiter

Hamburg. Die Zahl der Menschen, die früher in Rente gehen und dafür finanzielle Einbußen hinnehmen, ist auf einem neuen Rekordstand. Fast jeder zweite Neurentner (48,2 Prozent) verzichtet nach Zahlen der Deutschen Rentenversicherung lebenslang auf durchschnittlich rund 110 Euro im Monat, um drei Jahre vor der Altersgrenze (Mittelwert) in Rente zu gehen. Dabei gehen noch mehr Frauen als Männer (51,7 zu 44,1 Prozent) unter Verzicht auf Geld vorzeitig in den Ruhestand. Der Grund dafür liegt nach Expertensicht darin, dass Frauen oft jünger sind als ihre Ehepartner und sich vorzugsweise mit ihnen gemeinsam vom Berufsleben verabschieden wollen.

Der Präsident des Bundesverbandes der Rentenberater, Martin Reißig, sagte dem Abendblatt: "Der Trend, mit Abschlägen früher in Rente zu gehen, hat auch mit den Vorruhestandsregelungen großer Firmen zu tun." So gebe es in Unternehmen häufig finanzielle Anreize, den Renteneintritt vorzuziehen. "Das wird für die Mitarbeiter finanziell abgefedert", so Reißig.

Allerdings könnten sich Handwerksbetriebe und kleinere Firmen das oft nicht leisten. Über Altersteilzeit- und Vorruhestandsregelungen werde oft auch Personal abgebaut, sagte Reißig. Ein weiterer Grund für einen frühen Ruhestand seien die steigenden Belastungen im Job. "Viele Menschen sagen sich: Diese Tretmühle halte ich nicht mehr aus. Ich gehe lieber jetzt schon mit Abschlägen, aber gesund in Rente." Anderen bleibt gar nichts anderes übrig: Die Zahl der Frührentner, die ihren Job wegen einer psychischen Erkrankung aufgeben, steigt seit Jahren beständig. Vier von zehn Erwerbsminderungsrentnern mussten wegen seelischer Leiden vorzeitig in Rente.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) macht vor allem die alternde Bevölkerung und politisch gewollte Rentenreformen der vergangenen Jahre für die hohe Quote an Neurentnern mit Abschlägen verantwortlich. Die Zahl der über 60-Jährigen habe zugenommen und somit auch die der Menschen, die in Rente gehen. Von der Leyens Sprecher sagte: "In vielen Fällen wird im Haushaltskontext mit dem Ehepartner genau kalkuliert: Was haben wir mit Rente, Zusatzvorsorge etc.? Was brauchen wir? Was können wir uns an Abschlägen leisten?"

Tatsächlich ist der Anteil der privaten Altersvorsorge an der Rente zuletzt deutlich gestiegen. Auch so werden Abschläge bei der gesetzlichen Versorgung ausgeglichen. Das soll in Zukunft noch mehr werden. Allerdings rufen zum Beispiel Millionen Riester-Sparer derzeit die staatlichen Zuschläge und eine volle Förderung oft nicht ab. Bei 13,25 Millionen Verträgen im Jahr 2009 gab es rund 9,6 Millionen Sparer mit einer Grundzulage. Gut drei Millionen Menschen mit Riester-Verträgen haben die Zulage für 2009 nicht einmal beantragt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, aus der die "Süddeutsche Zeitung" zitiert.

Nur 5,36 Millionen Sparer haben die volle Zulage erhalten. Ministerin von der Leyen hatte einen "Beipackzettel" für Riester-Verträge versprochen, den Verbraucherschützer immer wieder anmahnen. In der Debatte um die Rentenreformen ist dieser Punkt offensichtlich in Vergessenheit geraten.