Roma-Vertreter Kawczynski und Senator Neumann werfen dem Innenminister Populismus vor. Ortstermin im Aufnahmelager Stellingen.

Hamburg. Der Weihnachtsbaum ist noch verpackt, eng zusammengepresst mit einem Netz. In der Zelthalle für die Kinder sind die großen Fenster eingebaut, der Teppich ist verlegt, aber das Spielzeug ist noch nicht da. In vielen der Wohncontainer liegt die Bettwäsche noch gefaltet auf dem Tisch, die Schließfächer sind leer. Aber alles ist eingerichtet. Bis zu 300 Flüchtlinge können im Erstaufnahmelager an der Schnackenburgallee in Stellingen unterkommen. Im Moment sind es 110. Doch auch die sieht man an diesem Vormittag auf dem Gelände im Volkspark kaum. Es ist diesig, ein Wachmann lässt ab und zu einen Laster der Handwerker durch das Tor.

Deutschland debattiert derzeit wieder über "Flüchtlingswellen" und "Zuströme". Die Zahl der Asylanträge stieg im Oktober auf fast 10 000, 50 Prozent mehr als im Vormonat. Hamburg zählte im Oktober 688 Anträge, im Vormonat waren es 490. Vor allem Menschen aus dem Kosovo, Mazedonien und Serbien suchen Asyl. Viele von ihnen sind Roma. "Sichere Herkunftsländer", wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagt. Er will die 2009 aufgehobene Visumspflicht für diese Staaten wieder einführen. Bei der heute beginnenden Innenministerkonferenz in Rostock steht das Thema auf der Agenda. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) spricht von Asylmissbrauch.

Es sind diese Sätze, die Rudko Kawczynski wütend machen. Der Bürgerrechtsaktivist und Vorsitzender der Rom und Sinti Union sitzt auf einer Bank in der beheizten Zelthalle im Lager in Stellingen. Die Debatte tue sehr weh, sagt er. Vor allem durch die NS-Geschichte müsse die deutsche Politik doch den Roma den Rücken stärken. "Stattdessen gibt es von der Bundesregierung nicht die geringste Sympathie."

1956, als Kawczynski noch ein Kind war, floh er mit seinen Eltern aus Polen nach Hamburg. Heute betreibt er im Sommer auf dem Gelände im Volkspark einen Durchreiseplatz für Roma. Doch weil die Plätze für Asylbewerber in Hamburg knapp wurden, trat Innensenator Michael Neumann (SPD) an Kawczynski heran. Vor zwei Wochen haben sie begonnen, hier Wohncontainer aufzubauen. Hamburg hat die Plätze für die Erstaufnahme von 70 auf 550 aufgestockt, weitere 200 Plätze kommen im Lager Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern dazu. Gemeinsam mit Kawczynski geht Senator Neumann über das Gelände am Volkspark. Sie besichtigen die Duschräume, den Wickelraum und den Container mit den Waschmaschinen. Man müsse erst mal schauen, wie sich die Situation entwickele, sagt Neumann. Reichen drei Trockner? Ist die Lüftung in den Schlafräumen genug? Haben die Kinder ausreichend Spielzeug?

Aber er sagt auch: "Die schwierige Situation der Roma lösen wir nicht in Hamburg, sondern sie muss vor Ort in den Herkunftsländern bekämpft werden." Kawczynski und Neumann demonstrieren Einigkeit. "Die Bundesregierung hat versagt, die Menschenrechtslage der Roma in Staaten wie Mazedonien wirksam zu verbessern", sagt Neumann. Dabei seien in den vergangenen Jahren erhebliche Summen in die Länder geflossen, sowohl aus Deutschland als auch von der EU. "Doch dieses Geld ist nicht bei den Roma angekommen." Er erwarte von Berlin schärfere Auflagen für die Heimatländer der Flüchtlinge. Friedrichs Ankündigung zur Abschaffung der Visumsfreiheit habe die Roma-Flucht noch beschleunigt. Neumann wirft dem Innenminister Populismus in der Asyldebatte vor.

Kawczynski hat einen Bericht an den Europarat über die Situation der Roma in Mazedonien mitgebracht. Es gebe dort drei Roma-Parteien, aber die hätten kaum etwas zu sagen: "Sie sind kaltgestellt." Er erzählt von Übergriffen und davon, wie Roma-Verbände unterdrückt würden. In Mazedonien und Serbien, beides EU-Beitrittskandidaten, ist die Nervosität wegen der möglichen Rücknahme der Visumsfreiheit groß. Die mazedonische Botschafterin in Berlin wies die Vorwürfe zurück, Roma seien systematisch ausgegrenzt. Es gebe Parteien, Roma-Fernsehsender und Schulen, in denen in ihrer Sprache unterrichtet werde.

Doch immer wieder lassen die mazedonischen Behörden Roma-Siedlungen zwangsräumen. Amnesty International beklagte, dass es den Siedlungen an Wasser, Strom und Kanalisation fehlte. Auch in Berlin gab es bereits Gespräche mit Vertretern der Balkanstaaten, in denen Innenminister Friedrich die Lage der Roma als "nicht akzeptabel" kritisierte. Die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus den Balkanstaaten liegt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge allerdings bei nahezu null. Seit September ist laut der Innenbehörde eine Familie nach Ablehnung des Antrags aus Hamburg abgeschoben worden. Es habe auch freiwillige Rückreisen gegeben, verlässliche Zahlen könne die Behörde noch nicht nennen.

Auch seitdem das Verfassungsgericht höhere Leistungen für Asylbewerber gefordert hat, ist die Zahl der Anträge gestiegen. Auf Friedrichs Initiative sollen Flüchtlinge aus diesen Ländern weniger Bargeld erhalten. Aus Sicht von Kawczynski schüren Vorstöße wie diese den Rassismus gegen Roma. Es gehe doch nicht um das Geld. "Fragen Sie mal Familien im Kosovo, was Hartz IV ist." Geschäfte würden andere machen: Rechtsanwälte, die die Hilflosigkeit der Roma ausnutzen. Kawczynski wisse von Fällen, in denen den Flüchtlingen Unterlagen nicht erklärt würden, oder sie von albanischen Dolmetschern unter Druck gesetzt würden, einer Rückreise in ihre Heimatländer zuzustimmen. "Es hat nicht ein einziges Verfahren zur Anerkennung in der Sprache der Roma gegeben." Auch das macht Rudko Kawczynski in diesen Tagen wütend.