Arbeitsgericht klärt einen in Bergedorf ausgelösten Rechtsstreit. Für kirchliche Arbeitnehmer darf es kein generelles Streikverbot geben.

Berlin/Erfurt. Die Position der rund 18.000 Hamburger Arbeitnehmer bei der Diakonie und der 450 Angestellten bei der Caritas in der Hansestadt ist seit gestern gestärkt: Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt urteilte, darf es auch für kirchliche Arbeitnehmer kein generelles Streikverbot geben. Betroffen sind dabei alle, die für die großen christlichen Kirchen und deren Einrichtung tätig sind, also auch Ärzte, Krankenschwestern, Küchenhilfen oder Erzieher. Bundesweit geht es um rund 1,3 Millionen Beschäftigte - die Kirchen sind damit der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Staat.

Bisher waren bei der evangelischen und der katholischen Kirche und ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas Streiks verboten. Dumpinglöhne und Leiharbeit waren jedoch vor allem der Diakonie vorgeworfen worden, insbesondere von dem Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske. "Im Zweifelsfall hat heute für die Kirche die Ökonomie Vorrang vor dem harmonischen Miteinander", hatte er erst kürzlich in einem Interview gesagt.

Bislang gehen die Kirchen den sogenannten Dritten Weg. Sie berufen sich dabei auf Artikel 140 des Grundgesetzes, der ihnen die selbstständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten zusichert. Der Artikel wurde noch aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommen. Seither werden Fragen wie Gehalt oder Arbeitszeiten nicht in Tarifverhandlungen geregelt, sondern durch paritätisch besetzte Kommissionen aus Kirchenvertretern und Arbeitnehmern. Mit dem Leitbild der "Dienstgemeinschaft" seien Streik und Aussperrung unvereinbar, hieß es bei den Kirchen.

Die Gewerkschaften pochten dagegen auf die im Grundgesetz geschützte Koalitionsfreiheit. Danach sei ohne Streikrecht keine Verhandlungen auf Augenhöhe möglich. Immer wieder hatten Ver.di und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund in der Vergangenheit Protestaktionen gegen die aus ihrer Sicht schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhne gestartet.

Der aktuelle Rechtsstreit wurde in Hamburg ausgelöst. 2009 legten einige Dutzend Ärzte am Bergedorfer Bethesda-Krankenhaus vorübergehend ihre Arbeit nieder. Aus Protest gegen die Klinikleitung, die den Medizinern einen Tarifvertrag verwehrte, traten sie - aufgerufen vom Marburger Bund - in den Streik. Nur wohldosiert, um die Versorgung der Patienten nicht zu gefährden; aber effektiv genug, um die Frage nun höchstrichterlich und mit bundesweiter Auswirkung klären zu lassen.

Denn die Kirche wollte der Ärztegewerkschaft die Streiks untersagen lassen - ohne Erfolg. Das Hamburger Landgericht hatte 2011 geurteilt, dass es kein prinzipielles Streikverbot für Ärzte geben dürfe. Die Arbeit aus Protest vorübergehend niederzulegen sei "kein Verstoß gegen das Gebot der christlichen Nächstenliebe". Allerdings müsse stets sichergestellt werden, dass die Patienten nicht vernachlässigt würden.

Etwas anders urteilte vor einem Jahr jedoch das Landgericht Hamm: Dort fanden es die Richter zulässig, wenn das Streikrecht bei medizinischem Personal eingeschränkt sei - es passe nicht zum Selbstverständnis der Kirche, wenn die Versorgung der Patienten beeinträchtigt werde. Für alle anderen Arbeitnehmer jedoch, die nicht primär aus christlichen Gründen die Kirche als Arbeitgeber gewählt hätten, gelte das Streikverbot nicht - also etwa bei Reinigungskräften.

Die bestehende Unsicherheit haben die Erfurter Richter nun beseitigt. Sie bestätigten einerseits das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auch in arbeitsrechtlichen Fragen. Dieses sei unabhängig von der Nähe ihrer Mitarbeiter zum kirchlichen Verkündigungsauftrag, der Konfessionszugehörigkeit oder dem Ausmaß von Leiharbeit und Ausgliederung von Betriebsteilen, erklärte die Vorsitzende Richterin Ingrid Schmidt. Zugleich betonte sie aber, das Selbstbestimmungsrecht befinde sich nicht in einem rechtsfreien Raum. Kirchenmitarbeiter dürfen demnach dann streiken, wenn der kirchliche Sonderweg mit dem Ziel eines einvernehmlichen Interessenausgleichs nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt habe. Bsirske forderte die Diakonie auf, nun einen "Tarifvertrag Soziales" mit Ver.di abzuschließen. Dem harten Unterbietungswettbewerb vor allem in der Pflege werde damit ein Ende gesetzt. Wegen der Bedeutung des Rechtsstreits für den Status der Kirchen in Deutschland ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass nach dem BAG demnächst das Bundesverfassungsgericht über das kirchliche Arbeitsrecht entscheiden wird.