Die Urwahl der Grünen bringt ein neues Gesicht in die erste Reihe der Politik. Katrin Göring-Eckardt will die Mitte ansprechen.

Berlin. Grüne landauf, landab lobten am Wochenende die Weisheit der Partei. Unbeeindruckt von Personalgeschacher in Berlin wählten die Mitglieder klar die zwei Spitzenkandidaten, mit denen die Grünen der CDU-Kanzlerin Merkel, aber auch der SPD im Wahlkampf am ehesten Punkte abnehmen können. Das ist gängige Lesart zumindest bei den Grünen-Realos. Frau der Stunde ist Überraschungssiegerin Katrin Göring-Eckardt. Parteichefin Claudia Roth erlebte hingegen eine bittere Niederlage. Ihre politische Zukunft war am Wochenende offen.

Roth kam am Sonntag in die Parteizentrale. Erst wollte sie sich noch am Wochenende äußern, dann doch noch einen Tag Bedenkzeit nehmen. Montagmorgen will sie sagen, ob sie weitermacht. Gibt Roth auf, ginge bei den Grünen eine Ära zu Ende.

Telefonisch wurde die Parteilinke aus vielen Ecken der Partei zum Bleiben gedrängt, wie es hieß. Nach Göring-Eckardt gingen auch andere zu offenen Solidaritätsadressen über. „Claudia kann nerven, und deshalb ist sie für diese Partei so unverzichtbar“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Tatsächlich gibt Roth den Grünen ein prominentes Gesicht. Sie trifft den Ton in Flüchtlingsheimen ebenso wie im Fußballstadion. Doch ihre mageren 26 Prozent bei der Urwahl lassen sich nicht wegdiskutieren. Göring-Eckardt kam auf 47 Prozent, Trittin auf 72.

Roth dürfte nach übereinstimmender Einschätzung in der Partei wiedergewählt werden, sollte sie am Sonnabend auf dem Parteitag in Hannover wieder als Vorsitzende antreten. Die 57-Jährige bezieht ihren Antrieb großteils aus der Politik. Sie gilt manchen auch als eine Art Seele der Grünen, anderen ist sie zu gefühlsbetont oder schrill. Roths Wahlkampfauftritte zielen immer in ähnlicher Schärfe auf den Gegner. Der Kontrast zur eher ruhigen Art der Gewinnerin Göring-Eckardt sticht ins Auge.

„Es geht jetzt um Grün oder Merkel“ – diesen Satz ruft Göring-Eckardt zu einem Leitmotto aus. Möglicherweise können die Grünen ja mit ihr am ehesten bei Merkel-Fans punkten. Zumindest haben die beiden Frauen aus dem Osten einen verbindlichen Ton gemein. Das christliche Verantwortungsbewusstsein und soziale Engagement, für das die 46-Jährige steht, scheint anschlussfähig an etwas in den Hintergrund geratene CDU-Traditionen.

Trittin proklamiert: „Wir wollen einen demokratiekonformen Markt und keine marktkonforme Demokratie.“ Solche Parolen richten sich wohl eher an rot-grüne Wechselwähler, die mit SPD-Kandidat Peer Steinbrück fremdeln. Beide betonen: Schwarz-Grün halten sie aus inhaltlichen Gründen für nicht an der Tagesordnung – ein Ausschluss ist das nicht.

Will Göring-Eckardt die Siegesserie der Grünen-Realos von Baden-Württemberg im Bund fortsetzten, also von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dem neuen Stuttgarter OB Fritz Kuhn? Sie sagt: „Die Wahlen in Baden-Württemberg haben deutlich gemacht, dass die bürgerliche Mitte in Deutschland eine bessere Gesellschaft will.“

Auch die kommunistischen Zeiten von Trittin liegen lange zurück. „Wir lassen nicht zu, dass der Citoyen usurpiert wird von der politischen Rechten“, meint er, will das Bürgertum also nicht den Konservativen überlassen. Gebetsmühlenartig erläutert Trittin aber immer wieder, warum regieren eigentlich nur mit der SPD gehe.

Künast bleibt das endgültige Comeback zunächst verwehrt. Nach ihrem gescheiterten Anlauf auf das Amt des Berliner Regierungschefs vor gut einem Jahr wollten Teile ihres Realoflügels Künast als Spitzenkandidatin verhindern – doch die Fraktionschefin berappelte sich wieder. Nun macht sie erstmal weiter. Anfang kommenden Jahres ist Listenaufstellung in ihrem Berliner Landesverband. Derzeit sieht es so aus, als ob sie es zumindest dort an die Spitze schaffen würde.