Bundesverfassungsgericht prüft, ob das ESM-Urteil morgen überhaupt fallen kann. Kanzlerin Merkel verschiebt ihre Rede zum Haushalt.

Hamburg/Karlsruhe. Peter Gauweiler, 63, klagte gegen den Vertrag von Lissabon, den Rettungsschirm für Griechenland, den ständigen Stabilitätsmechanismus ESM, und nun muss sich das Bundesverfassungsgericht mit seinem neuerlichen Eilantrag befassen. Man könnte den CSU-Bundestagsabgeordneten aus München auch den größten und beharrlichsten Euro-Skeptiker unter Deutschlands Politikern nennen.

Dabei ist sein Antrieb simpel: Gauweiler will sich nicht entmachten lassen. So zielt sein Eilantrag darauf ab, dass sich die Karlsruher Richter um die neuen Fakten zu seiner ohnehin bestehenden Klage (und die von 37.000 weiteren Bürgern) kümmern. Gestern tagten sie in einer Sondersitzung. Heute soll das Ergebnis bekannt werden. Die Europäische Zentralbank hat ihre Bereitschaft signalisiert, unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen. Ob dann der ESM noch so bedeutend ist, scheint Gauweiler fraglich.

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Im Kern geht es darum, ob der Bundestag sein Haushaltsrecht an Europa abgibt. Ob außerhalb der Macht des Parlaments über eine Staaten-Rettung entschieden wird, für die Deutschland mitzahlt, aber keine demokratische legitimierte Mitsprache hat. Morgen fällt in Karlsruhe das Urteil, auf das Europa und angeblich die Welt schaut. Der Hamburger Jurist und Europa-Experte Prof. Sönke Ahrens betont im Abendblatt-Gespräch die Bedeutung des Urteils, nimmt aber Luft heraus: "Es wird keinen Erdrutsch an den Börsen geben, sollten die Verfassungsrichter den ESM für verfassungswidrig erklären."

So hätten die Märkte das Risiko eines "falschen" Signals aus Karlsruhe bereits eingepreist. Ahrens, der an der Hamburger Hochschule für Ökonomie und Management lehrt und einen Tag nach dem Urteil eine öffentliche Experten-Vorlesung zur Euro-Krise beginnt, erwartet also kein Urteil gegen den ESM, sondern lediglich Hinweise auf Mängel am Stabilitätsmechanismus. "Was ist denn passiert, als Finanzminister Schäuble dem Bundesverfassungsgericht sagte, es müsse schnell entscheiden, sonst bricht die Welt zusammen? Nichts." Damit habe das Gericht zur Beruhigung beigetragen. Dennoch sieht Ahrens die Gefahr, dass die Rechte des Bundestags ausgehöhlt werden. "Vielleicht muss der Bundestag am Ende über jede Maßnahme einzeln abstimmen. Die Richter werden allerdings miteinbeziehen, dass bereits zwei Drittel für den ESM gestimmt haben. Und dass wir die Krisenländer retten müssen, ist wohl unstrittig."

Ahrens glaubt, dass die Zeit für eine Volksabstimmung über die Euro-Rettung noch nicht da sei. Die Bürger seien mit der bisherigen Krisenbewältigung zufrieden, das würden Umfragen zeigen. "Allerdings hätte Frau Merkel mal nach Griechenland fahren sollen, um dort den Menschen zu sagen: Wir werden euch unterstützen." Das hätte abseits aller schrillen Töne zum Zusammengehörigkeitsgefühl beigetragen.

Deutschland wird, wenn alles glattläuft, als letzter der 17 Euro-Staaten den 700 Milliarden schweren ESM ratifizieren. Davon kommt gut jeder vierte Euro aus Deutschland. Kanzlerin Merkel verschiebt ihre morgige Rede in der Generaldebatte zum Haushalt, um auf das Urteil reagieren zu können. In den Niederlanden wird am selben Tag ein neues Parlament gewählt. In Athen streiten die Koalitionsparteien erneut über das Sparpaket.

Gestern ließ Merkel Regierungssprecher Steffen Seibert verkünden, die Bundesregierung sei "überzeugt, dass der ESM verfassungsgemäß ist". Zwei widersprüchliche Gutachten machten die Runde. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags warnte, der Euro-Rettungsschirm könnte das Budgetrecht verletzen. Für die Bertelsmann-Stiftung ermittelte der Berliner Europa-Rechtsexperte Christian Calliess das Gegenteil. Im Vergleich zu bisherigen Regelungen habe der Bundestag sogar gesteigerte Mitwirkungsrechte. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zeigte sich aufgeschlossen gegenüber einer Verschiebung des Urteils. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe mahnte: "Jeder wäge seine Worte ab."