Nationalsymbole: Die Deutschen gehen mit ihrer Hymne und ihren Farben auf einmal unbefangen und fröhlich um. Lieb Vaterland, magst ruhig mal laut fröhlich sein . . .

Daß es derzeit in Deutschland so undeutsch locker zugeht, verdanken wir erstens der Sonne, zweitens dem lieben Gott, drittens dem Kaiser und viertens ausländischen Mitbürgern. Damit wäre eigentlich alles gesagt, denn der Rest spielt auf vielen Plätzen. Da aber fünftens der Trend zum patriotischen Zweitbuch geht, obwohl eigentlich alles bereits gesagt ist, nur noch nicht von allen, will ich mich vor einer Begründung nicht drücken.

Denn auch ich bin ein Patriot.

Zwar hänge ich deshalb nicht meine Fahne in den Wind, doch daß schwarz-rot-goldene Flaggen von Balkonen und Autos und Kinderwagen flattern und sogar der an sich kühle Bürstenmann auf dem Hamburger Isemarkt eine Flagge gehißt hat, ist selbst mir keine üble Nachrede wert. Schwarz-Rot-Gold waren die Farben der Weimarer Republik und nicht die Farben der braunen Verbrecher, die dann Deutschland regierten. Daß die nicht über Nacht das von mutigen Demokraten besetzte Land überfielen, sondern vom Mob und vom Bürgertum begeistert empfangen wurden, auch in Hamburg, bestreitet niemand, der ernstgenommen werden will.

Aber jetzt und hier und heute wird Fußball gespielt. Wenn in Ländern, deren Leichtigkeit des Seins ohne eigenes Zutun schon allein ihr Klima fördert, nach Siegen der heimischen Mannschaft gehupt und gesungen und Fahnen schwenkend gefeiert wird, fragt ja längst keiner mehr, ob da Nationalismus der üblichen Art ausgebrochen ist.

Ich habe keinen Sonnenstich und ich liebe auch nicht mein Vaterland. Schon deshalb nicht, weil ich gar nicht weiß, wie das gehen soll. Wenn es Millionen Deutsche Ost und Deutsche West nicht geschafft haben, sich in Liebe zu vereinigen, wie soll sich da ein einzelner mit einem ganzen Land vereinen? Patriotismus West plus Patriotismus Ost ergibt noch lange keinen gesamtdeutschen Patriotismus, die Unterschiede sind groß, was wiederum an den so unterschiedlichen Biographien liegt. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Seit Jahren jedoch überfallen mich bei passenden Gelegenheiten im Ausland patriotische Gefühle. Unter Deutschen sind mir solche Wallungen eher fremd. Sie zeigten sich erstmalig bei einer Demonstration gegen den Irak-Krieg in den Vereinigten Staaten. Ich bekannte, stolz darauf zu sein, aus einem friedlichen Land zu kommen, aus Deutschland.

So viel Patriotismus darf sein, auch und gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte, in deren Verlauf es eher selten war, daß Deutsche nicht an einem Krieg teilnahmen oder ihn, das am liebsten, gleich selbst begannen.

Vor ein paar Wochen fragte mich im Jewish Museum in New York eine alte Dame nach der englischen Übersetzung eines bestimmten deutschen Begriffes, der neben einem dort ausgestellten Objekt stand. Wir kamen darüber ins Gespräch, setzten uns aber draußen vor dem Museum auf eine Bank, wollten die anderen Besucher nicht stören. Sie war vor siebzig Jahren als Kind aus der Stadt emigriert, in der ich lieber lebe als in anderen Städten.

Wir sprachen nicht über die Zeit, der sie entflohen ist und ich durch Nach-Kriegs-Geburt entkommen. Wir sprachen über George W. Bush und Dick Cheney und Donald Rumsfeld, über das Horrorcamp in Guantanamo und das Chaos in Bagdad, über die heimliche Überwachung privater Telefone durch die NSA und die Einschränkung der Civil Rights, und wir waren uns einig, daß die USA derzeit nicht so toll regiert werden, aber ein tolles Land sind. Denn auch sie war eine Patriotin.

Zurück nach Deutschland. Punkt eins bis fünf müssen begründet werden.

Erstens: Daß zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft die Sonne schien, ist kein Erfolg der Aktion "Du bist Deutschland", und ist auch nicht im Koalitionsausschuß von Merkel und Müntefering bei drei Enthaltungen und einer Gegenstimme durchgesetzt worden, sondern lag

Zweitens: am lieben Gott, der nach Rücksprache mit Benedikt XVI ( Wir sind schließlich Papst!) seine Gnade vor einem möglichen Islandtief walten ließ. Das Gottesurteil löste mediterrane Gefühle bei Deutschen aus (siehe dazu auch des Volkes wahrer Himmel, Goethe), was wiederum dazu führte, daß die Klinsmannschaft fröhlich drauflos stürmte statt hinten blutgrätschig nach alldeutscher Art das Tor dichtzumachen. Die heitere Stimmung erzeugt zwischenmenschliche Nähe und löst vielleicht auch ein anderes Problem des Landes, aber das wird man erst in etwa neun Monaten feststellen können.

Drittens: Kaiser Franz. Der hat nicht nur in einer Welttournee unter dem Motto "Ich heiße Beckenbauer und bin Deutscher" das Land und die WM bestens verkauft, bevor sie die Fifa kaufte, er macht außerdem bella figura auf allen Volkstribünen, ganz egal, woher der Präsident stammt, der neben ihm sitzen darf, und sei es auch Horst Köhler.

Viertens: Ausländische Mitbürger. Die machten uns jahrelang bei ähnlichen Anlässen was vor, jetzt freuen wir uns zurück, denn was die anderen können, das können wir endlich auch.

Fünftens: Siehe eins bis vier.

Was allerdings aus dem gefühlten Patriotismus wird, falls es regnet und Beckenbauer hustet und wir gegen Engländer oder gar Holländer verlieren, weiß allein der liebe Gott. Der ist, im Gegensatz zum Papst, kein Deutscher.

Bis dahin wird gesungen. Basta.

  • Dazu: Der als Taschenbuch erschienene undeutsch fröhliche Bestseller "Typisch Ossi Typisch Wessi - eine längst fällige Abrechnung unter Brüdern und Schwestern" von Angela Elis (Ost) und Michael Jürgs (West), Goldmann, 7,95 Euro.