Insbesondere in der Gesundheitspolitik gelang der FDP ein Durchmarsch. Die CSU musste etliche Positionen räumen.

Gesundheit

Berlin/Hamburg. Buchstäblich in letzter Minute einigten sich die Verhandlungsführer von Union und FDP in der Nacht auf Freitag doch noch auf eine Reform des Gesundheitswesens. Die "Kopfprämie" soll nun kommen - und der Gesundheitsfonds steht ab 2011 zur Disposition. Union und FDP peilen einen Radikalumbau der gesetzlichen Krankenversicherung an. Kern der Reform ist, dass die Arbeitnehmer künftig eine einkommensunabhängige Pauschale an ihre Kasse zahlen. Der an der Höhe des Einkommens orientierte Arbeitgeberbeitrag soll künftig nicht weiter steigen. Die steigenden Gesundheitskosten müssten dann in Zukunft allein von den Versicherten aufgefangen werden. Für sozial Schwache ist aber ein Ausgleich aus Steuermitteln geplant.

Nur in einer Übergangsphase soll der von der Großen Koalition eingeführte Gesundheitsfonds noch bestehen bleiben, ebenso wie der einheitliche Beitragssatz von 14,9 Prozent. Langfristig wird das bestehende System abgelöst. Nun doch nicht erhöht wird die Obergrenze für die Zusatzbeiträge von einem Prozent des Einkommens. Diese ergänzenden Beiträge können Kassen erheben, die mit dem Geld aus dem Fonds nicht auskommen.

Gewinnerin des Verhandlungspokers ist die FDP, die sich mit ihrer Forderung nach einem radikalen Systemwechsel letztlich durchsetzen konnte. Allerdings zeigte sich auch die CDU in den Verhandlungen aufgeschlossen für das nun verabredete Prinzip einer Kopfprämie, das sie im Wahlkampf 2005 selbst gefordert hatte, dann aber mit der SPD nicht umsetzen konnte. Verliererin des Verhandlungspokers ist die CSU, die sich bis zuletzt strikt gegen die Einführung pauschaler, einkommensunabhängiger Krankenkassenbeiträge gewehrt hatte. Zuletzt hatte es wegen der starren Haltung der CSU gar nicht mehr danach ausgesehen, als sei überhaupt noch eine Einigung auf einen Systemwechsel möglich. Die CDU war mit der Forderung in die Verhandlungen gegangen, die Obergrenze bei den Zusatzbeiträgen auf zwei Prozent anzuheben. Das konnte die CSU verhindern.

Familie

Union und FDP wollen Familien finanziell stärker entlasten. Im Gespräch ist eine schrittweise Anhebung des steuerlichen Kinderfreibetrags um rund 2000 auf jährlich 8004 Euro. Auch das Kindergeld könnte in Stufen angehoben werden - die Rede ist von einem Anstieg auf monatlich 200 Euro.

Seit 2009 gilt ein Kinderfreibetrag von zusammen 6024 Euro. Das Kindergeld wurde für das erste und zweite Kind auf 164 Euro angehoben, für das dritte Kind gibt es 170, für das vierte und weitere Kinder je 195 Euro monatlich. Das Kindergeld gilt als aufwendigstes familienpolitisches Förderinstrument und kostet rund 35 Milliarden Euro pro Jahr. Es ist verfassungsrechtlich nicht zwingend.

Auch hier konnte sich die FDP durchsetzen. Sie hatte im Entwurf für den Koalitionsvertrag, der dem Abendblatt vorliegt, einen entsprechenden Passus aufnehmen lassen. Unterstützung für die Forderung war aber auch von der CSU gekommen, während die CDU zuletzt wegen der Kostspieligkeit des Vorhabens auf die Bremse getreten hatte.

Landwirtschaft

Union und FDP wollen der Landwirtschaft mit einem Sofortprogramm über rund 800 Millionen Euro unter die Arme greifen. Geplant ist eine Grünlandprämie von 500 Millionen Euro, verteilt auf zwei Jahre. Außerdem solle es Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung von insgesamt 200 Millionen Euro für die kommenden zwei Jahre geben. Dritter Baustein ist eine Finanzspritze zur Fortführung eines Liquiditätsprogramms von 100 Millionen Euro, ebenfalls für zwei Jahre.

In diesem Bereich gibt es keinen klaren Gewinner, wohl aber einen Verlierer: die CSU. Sie musste insbesondere von ihrer Forderung nach nationalen Aktionen zur Steuerung der Milchmenge wie dem Ende der Verrechnung von zu viel und zu wenig gelieferter Milch abrücken, wie sie im Entwurf für den Koalitionsvertrag noch zu finden waren. Doch CDU und FDP lehnten gemeinschaftlich nationale Alleingänge ab und setzen sich damit auch durch.

Verteidigung

Union und FDP wollen die Wehrpflicht erhalten, den Wehrdienst aber voraussichtlich zum 1. Januar 2011 von neun auf sechs Monate verkürzen. In ihren Koalitionsgesprächen einigten sich Vertreter von CDU, CSU und FDP darauf, die Wehrpflicht für junge Männer zu überprüfen, aber grundsätzlich bestehen zu lassen. Durch eine Verkürzung der Wehrdienstzeit könnten wieder mehr Männer eingezogen werden, hieß es zur Begründung.

Auch wenn die Wehrpflicht erhalten bleibt, ist die FDP die klare Siegerin. Denn die Union hat bis zuletzt dafür gekämpft, dass am Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht gar nichts geändert wird. Der Kompromiss - die Reduzierung auf nur noch sechs Monate Dienst - ist ein klarer FDP-Erfolg und mehr, als die Union ihr eigentlich je zugestehen wollte.

Mindestlohn

Ein Thema, bei dem grundsätzlich schon vor den Verhandlungen Übereinstimmung herrschte: CDU/CSU und FDP bekennen sich zur Tarifautonomie, lehnen aber einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn ab. Dennoch: Erst einmal rührt Schwarz-Gelb die von der Großen Koalition vereinbarten Regelungen zum Mindestlohn nicht an. Die sollen bis Oktober 2011 daraufhin überprüft werden, ob sie Arbeitsplätze gefährden oder Neueinstellungen entgegenstehen. Prüfkriterium soll dabei auch die "Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Branchen" sein. Dann soll entschieden werden, ob die Mindestlohnregelungen Bestand haben oder aufgehoben werden. Die Koalitionspartner streben stattdessen ein gesetzliches Verbot sittenwidriger Löhne an, das heißt von Löhnen, die ein Drittel unter dem Durchschnitt des branchenspezifischen Lohns liegen.

Verliererin FDP: "Eine Fortsetzung der Mindestlohnorgie wird es mit der FDP nicht geben", hatte der neue Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) kurz vor der Wahl gesagt. Nun aber bleibt es bei den schwarz-roten Beschlüssen.