Beim Hamburger Parteitag stemmt sich die Internetbewegung gegen jede Form der Zensur. Ihre Feindbilder sind die CDU-Minister Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen.

Hamburg. Die Luft ist schlecht, die Debatten zur Geschäftsordnung lang, die Gemüter ermattet. Die Mitglieder der erst drei Jahre alten Piratenpartei haben bei ihrem Bundesparteitag schon knapp sieben Stunden Diskussion im stickigen Bürgerhaus von Hamburg-Wilhelmsburg hinter sich, als sie doch noch von den Stühlen gerissen werden. Was der scheidende Bundesvorsitzende Dirk Hillbrecht und sein Nachfolger Jens Seipenbusch nicht geschafft haben, ist für Jörg Tauss ein Kinderspiel.

Dass die Staatsanwaltschaft gegen den von der SPD übergetretenen Bundestagsabgeordneten wegen des Besitzes von Kinderpornografie ermittelt, interessiert in dem Moment niemanden. Tauss kennt den passenden Tonfall, den so ein Parteitag braucht: "Müntefering und Co. haben nichts begriffen. Die Quittung dafür bekommen sie noch!" Jubel. "Wir haben gute Chancen, Punkte für die Bundestagswahl zu machen!" Stehender Applaus. Tauss lächelt.

"Sauwohl" fühle er sich hier, hatte er vorher schon gesagt. Jetzt platzt er fast vor heimlicher Freude. Heute gibt es keine Vorwürfe zu den schwerwiegenden Verdächtigungen gegen den 56-Jährigen. "Es darf doch jeder Mitglied in der Piratenpartei werden", sagt Eric Lüders (40) aus Berlin. "Erst mal müssen die Vorwürfe bewiesen werden." Bis dahin schmückt sich die Partei mit einem Abgeordneten, den die anderen Parteien nur noch mit spitzen Fingern anfassen.

Die Piratenpartei (Motto: Klarmachen zum Ändern!) segelt auf einer Erfolgswelle. Erst im September 2006 gegründet, wurde sie bei ihrer ersten bundesweiten Wahl zum Europaparlament im Juni immerhin von 230 000 Deutschen gewählt. Das schwedische Original zog mit sensationellen 7,1 Prozent in das Europaparlament ein. Das bringt Rückenwind. Ebenso wie das Gesetz zur Sperrung kinderpornografischer Seiten, das der Piratenpartei scharenweise Internetnutzer zutreibt, die sich dadurch zensiert fühlen. "Dass sich niemand die Seiten ansehen kann, davon hat keines der betroffenen Kinder etwas", sagt Kerstin Liesk (33) fast trotzig. Sie ist sicher, dass es nicht nur bei diesen Seiten bleiben wird, sondern auch andere Inhalte künftig gesperrt werden. Deswegen ist sie vor drei Wochen in die Piratenpartei eingetreten. Am 11. Juni waren es noch knapp 1500 Mitglieder, jetzt sind es nach Parteiangaben 3323.

Bei so viel Zustimmung scheint den "Piraten", wie sich die Parteimitglieder selbst kurz nennen, der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl am 27. September plötzlich möglich. Darauf bereiten sie sich an diesem Wochenende mit der Wahl des neuen Vorsitzenden Seipenbusch und der Programmdebatte vor. Sie sind stolz, basisdemokratisch organisiert zu sein.

Dass sich ein normaler "Pirat" jede Minute ohne Anschluss zum Netz unwohl fühlt, zeigen die vielen Laptops im Saal. Wäre die Drogenbeauftragte Sabine Bätzing da, würde sie wohl einige als onlinesüchtig einstufen. Es sind fast nur Männer zwischen 30 und 40 Jahren, die für ein schrankenloses Internet und kostenlosen Zugang zu allen Inhalten kämpfen. Sie lehnen Patente auf Software und Geschäftsideen ab, Kopierschutz soll es für private Nutzung nicht geben. Das Wort Zensur ist die Plattform, auf der die Mitglieder stehen. Ihre Feindbilder sind auf T-Shirts nicht zu übersehen: Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), genannt "Zensursula", die das Gesetz zur Sperrung kinderpornografischer Seiten vorangetrieben hat. Wer auf dem Parteitag Zugang zum WLAN haben will, muss "000Zensursula" als Passwort eingeben.

Wenn es nicht mit der Fünf-Prozent-Hürde klappt, dann eben nächstes Mal. Dem neuen Vorsitzenden Seipenbusch ist klar: "Wir sind nur Amateure." Tipps, wie sich im Wahlkampf "die Fettnäpfchen umgehen" lassen, soll nun ausgerechnet Tauss geben.