Hessens Ministerpräsident über die Rolle von Bundeskanzlerin Merkel, den Umgang mit der SPD und die Rettung des Autobauers Opel.

Wiesbaden. Hamburger Abendblatt:

Herr Ministerpräsident, zum Auftakt des Superwahljahres holte die CDU in Hessen 37,2 Prozent. Wären Sie damit auch bei der Bundestagswahl zufrieden?

Roland Koch:

Wir sind als Union mit dem festen Ziel unterwegs, die 40-Prozent-Marke zu erreichen.



Abendblatt:

In den meisten Umfragen liegen CDU und CSU unter dem Hessen-Ergebnis.

Koch:

Ich halte 40 Prozent durchaus für möglich. Ich weiß aber auch, dass wir dafür die Alternativen im Wahlkampf zuspitzen müssen. Am 27. September stellt sich schließlich keine Große Koalition zur Wahl.



Abendblatt:

Ihr Amtskollege Oettinger hat Angela Merkel im Abendblatt-Interview bereits aufgefordert, die Uniform der Kanzlerin in den Schrank zu hängen und die Uniform der Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidatin anzuziehen. Wird sie das tun?

Koch:

Die Führung und die Darstellung der Union ist ein Gemeinschaftswerk. Das Wichtigste, was wir dabei haben, ist die Autorität der Bundeskanzlerin als diejenige, die Deutschland am verlässlichsten in dieser Krisenzeit führen kann. Das beschränkt sie in der Möglichkeit, parteipolitisch hart zuzuschlagen. Aber es gibt viele andere, die in der Lage sind, unser Profil klar herauszustellen und die Auseinandersetzung mit der SPD zu führen. Die CDU wird nur mit Angela Merkel gewinnen. Aber die CDU wird auch nur als Team gewinnen.



Abendblatt:

Viele rätseln, wofür Angela Merkel steht. Wissen Sie es?

Koch:

Ja. Ich glaube, wer Angela Merkel mit Ruhe beobachtet und ihre Leistung bewertet, kann das auch wissen. Es gehört eher zu den medialen Spielchen dieser Zeit, das infrage zu stellen. Natürlich muss Frau Merkel als Kanzlerin auch für viele Kompromisse mit der SPD stehen. Wir sind aber froh und dankbar, dass sie die Kanzlerin ist. Wenn sie es nicht wäre, würde angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag Schröder mit Unterstützung der Alt-SED-Truppen regieren.



Abendblatt:

Was unterscheidet Angela Merkel politisch eigentlich von Frank-Walter Steinmeier?

Koch:

Angela Merkel ist beispielsweise felsenfest davon überzeugt, dass der Staat die Wirtschaft nicht dauerhaft unter Kontrolle halten soll und darf. Steinmeier war dieser Meinung auch mal. Aber die hat er auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur abgegeben. Er ist jetzt mit jenen linken Sozialdemokraten in einem Boot, die sagen: Je mehr wir verstaatlichen können, desto wohler fühlen wir uns. Dieser prinzipielle Unterschied wird sich im Wahlkampf auswirken müssen. Die Sozialdemokraten sind immer noch im Sozialismus des letzten Jahrhunderts verhaftet. Manche sehen in der Krise die Chance, dafür ein Comeback zu organisieren.



Abendblatt:

Frau Merkel hat ein modernes Familienbild, befördert die Gentechnik und kritisiert den Papst. Die Befürchtung, die Bundeskanzlerin könnte Stammwähler der Union verschrecken, gibt es nicht nur in der CSU ...

Koch:

Mit Frau Merkel spielt Deutschland in der Welt wieder eine ganz starke Rolle, auf sie richten sich in vielen Fragen die Blicke. Sie hat den Weg der Haushaltskonsolidierung beschritten, die jetzt Voraussetzung dafür ist, dass wir besser als andere Länder durch die Krise kommen. Die CDU hat sich verändert, aber wir arbeiten auch sehr hart an unseren traditionellen Überzeugungen: von der Westbindung über die Marktwirtschaft bis zum Stellenwert der Freiheit. Das Zentrum gegen Vertreibungen, das wir jetzt endlich durchgesetzt haben, gehört genauso dazu wie moderne Familienpolitik.



Abendblatt:

Wie wollen Sie die Wähler zurückholen, die in Scharen zur FDP übergelaufen sind?

Koch:

Mit der klaren Aussage, dass wir die Große Koalition nicht fortsetzen wollen und eine bürgerliche Mehrheit mit der FDP anstreben.



Abendblatt:

Ist es angesichts der Krise seriös, im Wahlkampf Steuersenkungen zu versprechen?

Koch:

Man muss auch in der Krise über die Steuerpolitik der Zukunft sprechen können. Wir haben ein Steuersystem, das Leistungsträger bestraft und einer Änderung bedarf. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass wir Ungerechtigkeiten beseitigen, etwa bei der kalten Progression. Anders als die Sozialdemokraten werden wir den Menschen aber nicht vorgaukeln, Steuererleichterungen seien kurzfristig möglich.



Abendblatt:

Wann dann?

Koch:

Die nächste Wahlperiode wird nicht nur geprägt sein von Wirtschaftskrise. Sie wird auch wieder geprägt sein von Aufschwung und von neuen Perspektiven für Wohlstand. Ich halte es für möglich, dass sich dann neue Spielräume für Steuersenkungen ergeben. Wir spielen aber nicht die Rattenfänger von Hameln, die mit Steuerschecks winken. Wir werden die Menschen nicht mit Staatsgeschenken motivieren, uns zu wählen.



Abendblatt:

Die CSU hat ihr Steuerkonzept schon vorgelegt. Ist eine Einigung auf dieser Basis möglich?

Koch:

Es gibt unterschiedliche Vorstellungen in Details, aber nicht im Prinzip. CDU und CSU werden sich auch in Steuerfragen auf ein gemeinsames Konzept einigen.



Abendblatt:

Wird die Seehofer-Partei zum Schrittmacher in der Union?

Koch:

Ich möchte keinen Wettbewerb darüber haben, wer Schrittmacher ist. Das würde CDU und CSU schaden. Wir sollten nicht an die Debatten von 1976 anknüpfen, sondern die Debatten der Zukunft als gemeinsame politische Kraft führen.



Abendblatt:

Das gemeinsame Wahlprogramm will die Union erst im Sommer vorstellen. Sieht nach Versteckspiel aus ...

Koch:

Wir haben im Juni die Europawahl und im August drei außerordentlich wichtige Landtagswahlen. Niemand muss glauben, dass wir nur zwei Wochen Wahlkampf führen. Auf der Agenda steht nicht nur die Krise, sondern auch die Verlässlichkeit der SPD in der Frage, ob sie mit den Kommunisten zusammenarbeitet. Seit dem Kainsmal von Hessen wissen wir, dass der Wortbruch möglich ist, ja weite Teile der SPD ihn aktiv wollten. Ich befürchte: Wenn die SPD nach der Bundestagswahl eine Mehrheit auf der linken Seite hat, wird sie diese Mehrheit nutzen.



Abendblatt:

Was würde eine Fortsetzung der Großen Koalition nach der Bundestagswahl bedeuten?

Koch:

In der SPD gewinnen die Kräfte, die ganz nach links wollen und mit der Union nichts am Hut haben, permanent an Gewicht. Für diejenigen, die jetzt unter der Führung von Frau Nahles losmarschieren, gibt es keine Schnittmengen mit der Union. Diese Leute wollen eine andere Republik, und sie wollen sie gemeinsam mit Grünen und Linkspartei. Eine Fortsetzung der Großen Koalition wäre im Übrigen weder für unser Land noch für die Union gut. Die Zusammenarbeit mit der SPD kostet uns zu viele Kompromisse, die wir nicht haben wollen.



Abendblatt:

Die Wachstumsprognosen werden immer schlechter; die Gewerkschaften warnen vor sozialen Unruhen. Sind auf dem Konjunkturgipfel im Kanzleramt die richtigen Antworten gegeben worden?

Koch:

Die Strategie der Regierung, die Wirtschaft nicht mit immer neuen Konjunkturprogrammen zu überfluten, ist richtig. Wir setzen nicht so stark auf Staatsverschuldung wie Amerika oder Großbritannien, wir schenken dem privaten Konsum mehr Vertrauen. Dieser Kurs ist in der Kanzlerrunde bestätigt worden, daran müssen wir festhalten.



Abendblatt:

Welche Schritte sind jetzt geboten?

Koch:

Die Idee, das Kurzarbeitergeld für einen bestimmten Zeitraum von 18 auf 24 Monate auszudehnen, ist vernünftig. Das wird den Anstieg der Arbeitslosigkeit auch bei einer längeren Durststrecke dämpfen.



Abendblatt:

Wie lang wird die Durststrecke?

Koch:

Wir sind sicher, dass es keine kurze Zeit ist. Zwar gibt es in einigen Branchen erste Signale, die Hoffnung machen. Aber die Folgen der Krise, etwa auf dem Arbeitmarkt, werden auch 2010 und darüber hinaus sichtbar sein.



Abendblatt:

Müssen wir das soziale Netz stärken? Ihr Parteifreund Rüttgers fordert bereits Korrekturen bei Hartz IV ...

Koch:

Auch vor einer Bundestagswahl sollte klar sein, dass unsere Handlungsmöglichkeiten auf diesem Feld eng begrenzt sind. Jenseits einer Verlängerung des Kurzarbeitergeldes sehe ich keine Spielräume.



Abendblatt:

In Hessen liegt das Opel-Stammwerk. Sehen Sie Rettung für den angeschlagenen Autobauer?

Koch:

Ich bin sehr zufrieden, dass wir in den letzten Tagen in einen Wettbewerb von Bietern eingetreten sind, die Opel haben wollen - entgegen allen Unkenrufen, niemand werde Interesse zeigen. Das ist die entscheidende Wende. Jetzt können wir ernsthaft über eine unternehmerische Zukunft von Opel reden.



Abendblatt:

Mit Fiat als Investor?

Koch:

Fiat war der erste Bieter, der bekannt geworden ist. Damit muss der italienische Hersteller nicht der beste sein. Es gibt weitere Bieter, deren Konzept mindestens so interessant erscheint wie das von Fiat.



Abendblatt:

Vor allem das des Autozulieferers Magna?

Koch:

Das Gute an Magna ist, dass es sehr viele Überschneidungen an Wissen und Können, aber keine Überschneidungen im täglichen Tun am Markt gibt. Magna wäre ein interessanter strategischer Investor.



Abendblatt:

Der Betriebsrat von Opel fürchtet Massenentlassungen und Werkschließungen, sollte Fiat den Zuschlag bekommen.

Koch:

Ich verstehe sehr gut, dass die Arbeitnehmer den Partner wollen, der ein eigenständiges europäisches Unternehmen Opel gewährleistet. Ein Unternehmen, das Forschung und Entwicklung betreibt und möglichst viele Arbeitsplätze erhält. Fiat hat ähnliche Probleme wie Opel, wird ebenfalls Kapazität reduzieren müssen, um zu überleben. Vor einer Übernahme müsste Fiat die Bedenken zerstreuen, dass allein Opel dafür zahlt.



Abendblatt:

Welche Aufgabe hat der Staat?

Koch:

Im Fall von Opel wird sich ein Investor in dieser Krise nur finden, wenn für die Anfangsjahre ein beträchtlicher Teil mit staatlichen Bürgschaften abgesichert ist. Voraussetzung für jede staatliche Hilfe wird sein, dass der Investor möglichst viele Arbeitsplätze erhält und über ein Konzept verfügt, um dauerhaft Gewinn zu machen.