Aydan Özoguz wird neben Olaf Scholz stellvertretende Vorsitzende. Der wiedergewählte Parteichef Sigmar Gabriel bekennt sich zu Rot-Grün.

Berlin. Um 12.24 Uhr steht Aydan Özoguz am Pult vor der in Purpur gefärbten Parteitagsbühne. Es wird die bis dato wichtigste Rede ihrer rasanten Karriere in der SPD. "Mein Nachname ist eine Herausforderung für viele", sagt sie mit einem Lächeln und erklärt dann ihren schwierigen Nachnamen, der zwar "Özoguz" geschrieben, aber "Ösuus" ausgesprochen werde.

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Die Bundestagsabgeordnete nimmt sich fünf Minuten Zeit, sich vor der Wahl zur Vize-Vorsitzenden der Partei vorzustellen. Özoguz berichtet von ihrer acht Jahre alten Tochter und ihren Eltern, die als türkische Einwanderer ihr Glück in Deutschland mit dem Import von Haselnüssen suchten. Sie erinnert an die Gefühle der Migranten nach den Brandanschlägen auf Ausländer in der 90er-Jahren. Und sie dankt der damaligen Vize-Präsidentin des Bundestags Anke Fuchs dafür, dass sie 2002 die auch gegen Ausländer gerichtete Skandalrede des damaligen Hamburger Innensenators Ronald Schill durch das Abschalten des Mikrofons beendete. "Vielleicht wählt ihr mich, weil ich ein bisschen das Einwanderungsland Deutschland repräsentiere." Sie aber wolle sich für Deutschland als Einwanderungsgesellschaft einsetzen, sagt sie.

Die 44-jährige Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagfraktion erhält 86,8 Prozent der Delegiertenstimmen, ein ordentlicher Vertrauensvorschuss für eine Genossin, die anders als die anderen stellvertretenden Parteivorsitzenden als Quotenmigrantin in die Parteispitze aufrückt. Seit der Parteireform ist der fünfte Vizeposten für einen SPD-Politiker mit ausländischen Wurzeln reserviert.

Kaum steht das Wahlergebnis fest, stürzen sich die Medien auf Özoguz. Zeit für Interviews, aber kaum Zeit zum Innehalten. Im Gespräch mit dem Abendblatt zeigt sie sich erleichtert. Sie habe während ihrer Rede in viele aufmerksame Gesichter geblickt, stellt sie fest. "Ich war aufgeregt vor der Rede, aber ich hatte ja meinen Mann an meiner Seite", sagt sie. Doch Zeit mit ihrem Mann, Innensenator Michael Neumann, hat sie nicht in den Stunden nach der Wahl. "Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis", sagt Özoguz. "So ein Ergebnis zu bekommen ist großartig." Neben dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz ist sie nun die zweite Hamburgerin in der engsten Parteispitze - ein Novum in der deutschen Sozialdemokratie. Doch Özoguz stellt klar: "Ich sitze nicht für Hamburg in der Parteispitze. Das muss man deutlich sagen. Ich habe meine Wurzeln in Hamburg, aber für meine Themenbereiche, wie zum Beispiel Integration, werde ich natürlich durch die ganze Republik reisen."

Als der neu gewählte Parteivorstand für ein Foto zusammenkommen will, fehlt die neue SPD-Vize - wegen eines Interviews. Parteichef Sigmar Gabriel ruft nach ihr im Saal, keine Antwort. Erst Minuten später ist Özoguz wieder da, das Foto kommt zustande. Gabriel ist zufrieden. Auch für den Parteichef ist die Wahl gut gelaufen. Er ist oberhalb der 90 Prozent geblieben und seine Rede hat die Zuhörer begeistert. Daran, dass sich die SPD sieben Jahre nach dem Abgang Gerhard Schröders als vorerst letzter sozialdemokratischer Kanzler mehr denn je als linke Partei versteht, hat Gabriel in seiner Rede keinen Zweifel gelassen. Der nächste Bundeskanzler müsse wieder ein Sozialdemokrat sein. "Mit den Grünen als Koalitionspartner. Damit es hier keinen Zweifel gibt." Nur mit einer echten Veränderung sei ein Politikwechsel möglich. "Die anderen zeigen seit zwei Jahren nur, wie man Krisen vergrößern kann", sagte Gabriel. Die SPD will auch den Schulterschluss mit Gewerkschaften und Kirchen suchen, um das Projekt Machtwechsel zu schaffen. Die Mitte in Deutschland müsse eine "Mitte links" sein.

Indirekt kritisiert er seinen politischen Ziehvater Schröder, indem er klarmacht: "Sonntagsreden und auch Sonntagsinterviews helfen uns nicht weiter." Der Alt-Kanzler hatte zum Auftakt des Parteitags in der "Welt am Sonntag" den Steuererhöhungskurs der SPD kritisiert. Gabriel gibt sich davon ungerührt. Vehement verteidigt er die geplante Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent. Kein Mensch werde nur durch eigene Leistung reich und wohlhabend. Jeder brauche eine Gesellschaft, die einem dabei helfe. Steuererhöhungen seien daher kein Sozialneid.

Auch Gabriel weiß, dass er an einem gewissen Thema nicht vorbeikommen kann, selbst wenn die Entscheidung frühestens in einem Jahr fallen soll. "Heiter und gelassen" solle die Partei den Wirbel um die Kanzlerkandidatur ertragen, rät Gabriel den Genossen. In Anspielung auf die Rede Helmut Schmidts scherzt er: "Der Helmut wollte nicht mehr, ich hab ihn gefragt."

Er werde Ende 2012 einen Vorschlag machen, wer kandidieren soll. "Und dann entscheidet die Partei - und sonst niemand." Hier gebe es auch kein Casting. "Die, die das schreiben, verstehen zu wenig von Politik." Die Inszenierung des Parteitags lässt allerdings Raum für derartige Schlüsse. Nach der Steinmeier-Rede am Sonntag, der Gabriel-Rede am Montag wird heute Peer Steinbrück zur Steuer- und Finanzpolitik sprechen. Die Planung dieses Reden-Dreiklangs spricht für sich selbst.