Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sprach sich bei Günther Jauch für Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidaten aus.

Berlin/Hamburg. Nein, der Parteivorstand werde die Causa Schmidt/Steinbrück heute nicht kommentieren, teilt die Pressestelle der Bundes-SPD mit. Im Berliner Willy-Brandt-Haus weiß man, wie heikel dieses Thema ist. Und auch Hamburgs Bürgermeister und SPD-Chef Olaf Scholz möchte zu den Vorgängen kein Statement abgeben. Was ist passiert? Zunächst nicht viel mehr, als dass Altbundeskanzler Helmut Schmidt, 92, und Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, 64 – beides Sozialdemokraten –, ein Buch geschrieben haben: "Zug um Zug“. 320 Seiten dick, ein kritisches Gespräch über Politik und Wirtschaft.

Daraus zu zitieren ist unter Androhung einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro verboten. In einem Interview mit den beiden Verfassern gibt der "Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe dennoch die Passage wieder, die das Buch so brisant macht. Demnach sagt Schmidt zu seinem Schachfreund und Gesprächspartner: "Peer, ich bin der Auffassung, dass die SPD gut beraten wäre, Sie als den Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers zu nominieren.“ Darauf angesprochen, legt Schmidt im "Spiegel“-Interview nach: "Peer Steinbrück hat in seiner Zeit als Finanzminister bewiesen, dass er regieren und verwalten kann.“ Für eine Kandidatur des ehemaligen Ministers und Ministerpräsidenten spreche nicht zuletzt Steinbrücks Anziehungskraft auf Wechselwähler. "Die Wahlen werden nicht etwa am linken Flügel gewonnen, sondern alle Wahlen werden gewonnen in der Mitte.“ Dass Steinbrück noch nie eine große Wahl gewonnen habe, sei dagegen nicht wichtig, betont Schmidt: "Ich hatte auch keine Wahl gewonnen, als ich 1974 das Amt des Bundeskanzlers von Willy Brandt übernahm.“ Und: "Er kann es.“

Schmidt und Steinbrück nutzen derzeit jede sich bietende Gelegenheit, um die Botschaft ihres Buchs zu verbreiten – zuletzt am Sonntagabend: Da traten beide Genossen zusammen in der Polit-Talkshow von Günther Jauch auf. Der prominente Moderator hatte auf alle anderen Gäste verzichtet, wie er es auch schon zuvor bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) getan hatte.

Schmidt sprach sich bei Günther Jauch für seine Verhältnisse emotional für Steinbrück als Kanzlerkandidaten aus: "Er ist der geeignete Mann, weil wir im Augenblick politische Führer brauchen, die wissen, worüber sie sprechen. Er ist einer von denen ,die wissen , worüber sie reden.“

Schmidt sagte weiter: "Wahlen werden hoffentlich in der Mitte gewonnen. Wenn auch die Mitte aus dem Ruder läuft, da entsteht Gefahr für die Demokratie.“ Steinbrück schwieg leise lächelnd. "Das Gespräch läuft völlig an mir vorbei“,sagte er dann ironisch zu Jauch. Dann aber: „Ich werde mich äußern, wenn und falls der SPD-Vorsitzende mir die Frage stellt.“

In dem Buch erwidert Steinbrück auf das Lob Schmidts zurückhaltend: "Ihr Lob ehrt mich, Helmut. Mein Eindruck ist aber, dass die Republik heute keine schlaflosen Nächte hat über die Frage, wer Kanzlerkandidat der SPD wird.“ Schlaflose Nächte könnte diese Frage aber den Sozialdemokraten bereiten. Denn trotz Steinbrücks demonstrativer Bescheidenheit ist die derzeitige PR-Kampagne und die Rückendeckung durch den als "Elder Statesman“ vielfach geehrten Schmidt eine klare Herausforderung an die beiden anderen potenziellen Mitbewerber um die K-Frage: Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Und sie ist ernst zu nehmen: Die Forschungsgruppe Wahlen sieht Steinbrück in den Umfragen als derzeit beliebtesten Politiker bundesweit.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Steinmeier sein Interesse an der Kandidaten-Rolle auf ganz ähnliche Weise in die Öffentlichkeit gespielt. Damals hatte er sein Buch "Unterm Strich“ präsentiert, eine harsche Kritik am Kurs der eigenen Partei. Während der Vorstellung erklärte er vor Journalisten: "Dass man sich zur Verfügung stellt, wenn nach jemandem gerufen wird, ist doch fast schon banal.“ Damals regierten vor allem Parteilinke pikiert. Gabriel vermittelte im Streit zwischen den Parteiflügeln. Die Kandidatendebatte dürfe nicht zu früh zu beginnen.

Geduld ist offenbar nicht Steinbrücks Stärke. Er hat seinen nächsten Zug gemacht. Doch dieses Mal könnte es der SPD eventuell gelingen, Steinbrück ins Leere laufen zu lassen. Kaum ein Sozialdemokrat ist bereit, sich öffentlich zu äußern. SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sagte dem Abendblatt: "Wir haben noch viel Zeit, um die K-Frage zu beantworten. Im Falle einer Neuwahl entscheiden wir innerhalb einer Woche.“ Kelber besänftigt: Es tue der SPD gut, dass jetzt alle darüber sprächen, wer aus der SPD Angela Merkel ablöse. "Die Partei profitiert natürlich auch davon, wenn ein in Krisenzeiten bewährter Altkanzler wie Helmut Schmidt seine Meinung dazu kundtut. Aber in dem Augenblick, wo wir uns für einen Kandidaten entscheiden, wird nur noch massiv gegen die gewählte Person von interessierter Seite geschossen werden, inklusive einer Schlammschlacht.“

Die linke SPD-Jugendorganisation der Jusos äußert sich sichtlich verärgert über Steinbrücks "Inszenierungen“. Die inhaltliche Erneuerung der SPD hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit sei wichtiger als Personaldebatten, sagte Juso-Vize Ralf Höschele dem Abendblatt: "Wenn nur einzelne Politiker in Umfragen auf Zustimmung stoßen, reicht das für einen Wahlsieg nicht aus.“ Steinbrück stehe nur für einen sehr kleinen Teil der SPD. "Seine zahlreichen Nebenjobs und Vorträge für die Finanzwirtschaft machen ihn auch politisch angreifbar. Die SPD braucht einen Kandidaten, der auch für unsere politischen Inhalte steht.“ Und SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner sagte im "Tagesspiegel“: "Kanzlerkandidaten werden bei uns nicht ausgerufen, auch nicht von noch so verdienstvollen Politikern.“ Stegner sagte, es gebe mehrere Sozialdemokraten "die das Amt können.“