Mit einer eindringlichen Rede erinnert der Altkanzler an Deutschlands Pflicht zur EU-Solidarität. Lesen Sie hier, was Helmut Schmidt sagte.

Berlin. Es war eine flammende Rede des Altkanzlers Helmut Schmidt. Als der donnernde Applaus nicht enden will, kramt Schmidt erst einmal in seinem schwarzen Jackett und holt eine Mentholzigarette heraus. Der 92-Jährige missachtet jedes Rauchverbot, aber bei der SPD sieht man dies dem Altkanzler nach. Mit einem dringenden Appell, die Kriegszeiten in Europa nicht zu vergessen und daher die Schuldenkrise durch eine weitere Integration zu meistern, begeistert Schmidt am Sonntag fast 9000 Menschen beim SPD-Parteitag.

In der Station-Berlin, einem Industriegelände in Berlin-Kreuzberg, das von 1913 bis 1997 als Postgüterbahnhof diente, wärmt Schmidt zunächst die Parteiseele mit sehr persönlichen Erinnerungen. Er erzählt, wie er auf den Tag genau vor 65 Jahren mit seiner Frau Loki auf dem Boden kniend Einladungsplakate für die SPD Hamburg-Neugraben gemalt hat.

Nach einem historischen Exkurs rechnet er mit Union und FDP und ihrem Agieren in der Eurokrise ab. Er wirft Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) mit Blick auf die Aussage, in Europa werde wieder deutsch gesprochen, eine deutsch-nationale Kraftmeierei vor. Es dürfe nicht vergessen werden, dass der Wiederaufbau in Deutschland ohne Hilfe westlicher Partner nicht möglich gewesen sei. Die Deutschen hätten eine historische Pflicht, in der EU Solidarität zu zeigen.

„Wir brauchen ein mitfühlendes Herz gegenüber unseren Nachbarn und Partnern – und das gilt ganz besonders für Griechenland“, fordert Schmidt, der zu seiner Zeit als Kanzler 1974 bis 1982 die europäische Einigung vorangetrieben hatte. Eine Isolation Deutschlands in der EU und im Euroraum wäre hochgefährlich, warnte der Altkanzler.


+++ Die Rede von Helmut Schmidt beim SPD-Parteitag +++

Sein Auftritt ist ein früher emotionaler Höhepunkt des Treffens, selbst die Parteilinken lauschen gebannt. Die Sozialdemokratie sei seit über 100 Jahren internationalistischer als Liberale und Konservative. „Die Sozis“ hätten sich schon früh den Grundwerten der europäischen Solidarität verpflichtet. Es ist eine Art Auftrag für den Fall einer Regierungsübernahme im Jahr 2013 – denn die Krise wird bleiben.

Rückblick: Am 17. April 1998 wird Gerhard Schröder in Leipzig mit 93 Prozent zum Kanzlerkandidaten der SPD gewählt. Es ist bis Sonntag das letzte Mal, dass Helmut Schmidt auf einem Parteitag der SPD eine Rede hält. Auch wenn sich die SPD anno 2011 noch nicht auf ihren Kanzlerkandidaten festgelegt hat, hat Schmidt mit seinem Ritterschlag für Peer Steinbrück („Er kann es“) bereits eine deutliche Präferenz erkennen lassen – was in der Partei nicht nur wohlwollend aufgenommen worden ist. Gerhard Schröder glaubt zu wissen, wer es wird, will es aber nicht verraten.

Es gibt einige Parallelen zur Lage von 1998. Die Partei ist bis auf die Steuer- und Rentenvorstöße der Parteilinken erstaunlich geeint. Nach dem Debakel von 23 Prozent bei der Wahl 2009 und einer anschließenden Serie von acht Regierungsbeteiligungen bei acht Landtagswahlen hat sie ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen. Die Umfragewerte haben sich bei 28 bis 30 Prozent eingependelt. Da aber die Grünen etwas schwächeln, droht weiterhin die Juniorrolle in einer großen Koalition.

Die Parteispitze will alles vermeiden, was das Bild der Geschlossenheit stören könnte. Alle Altvorderen und aktuellen Führungspersönlichkeiten hatten die Parteilinke in den letzten Tagen vor Forderungen nach einem Spitzensteuersatz von 50 Prozent plus X gewarnt, damit man bürgerliche Wähler nicht verschreckt und die zweijährige Aufbauarbeit wieder zerstört.

Steinbrück betont: „Die SPD muss sich überlegen, ob sie mit einem ausgewogenen Steuerkonzept Wahlen gewinnen will oder ob sie sich in Steuerdebatten lieber mit sich selbst beschäftigt.“ Setzt sich die Parteilinke bis zum Parteitagsende am Dienstag durch, hätte die SPD ein großes Problem, auch wenn der Kandidat erst in etwa einem Jahr gekürt werden soll. Es könnte aber dadurch eine Vorentscheidung fallen.

Denn dann dürften weder Ex-Finanzminister Steinbrück noch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier für eine Kanzlerkandidatur 2013 zur Verfügung stehen. Dies wäre ein Bruch mit einer Politik der Mitte und würde die SPD aus ihrer Sicht zu weit nach links rücken. In diesem Fall dürfte die Kandidatur auf Parteichef Sigmar Gabriel zulaufen. Und mit der Einigkeit bei den Sozialdemokraten wäre es wieder vorbei. Aber: Das Linksruck-Szenario gilt parteiintern als unwahrscheinlich.