Die Kronzeugenregelung wird ihr vermutlich nicht gewährt. Auf der Liste der Neonazis stand eine berühmte Grünen-Politikerin.

Berlin/Karlsruhe/Hamburg. Der neue Generalbundesanwalt Harald Range sieht eine Kronzeugenregelung für eine mutmaßliche Helferin der Zwickauer Neonazi-Zelle äußerst skeptisch. Er wolle, wenn irgend möglich, ohne eine solche Vereinbarung auskommen, sagte Range im Innenausschuss des Bundestages nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“. „Bei zehn Morden tue ich mich – jedenfalls heute – furchtbar schwer, mit jemandem ernsthaft in Verhandlungen einzutreten“, wurde der Staatsanwalt zitiert. Die Kronzeugenregelung ermöglicht eine Strafminderung, etwa wenn Täter gegen Komplizen aussagen. Die inhaftierte Beate Z. soll Mitglied der Zwickauer Neonazi-Zelle gewesen sein. Der Gruppe werden mindestens zehn Morde zur Last gelegt. Die beiden anderen mutmaßlichen Mitglieder begingen nach einem Banküberfall in Eisenach offenbar Selbstmord in einem Wohnmobil.

Der Name der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, befindet sich in einer Datei, die Ermittler im Haus des Nazi-Trios in Zwickau fanden. Das berichtet die „Thüringer Allgemeine“ unter Berufung auf Kreise des Bundeskriminalamts. Die Gefährdung für die Thüringer Grünen-Politikerin werde allerdings als gering eingeschätzt: Auf der Liste fanden sich mehr als 10.000 Namen. Göring-Eckardt hatte sich als Politikerin aber auch als Präses der Evangelischen Kirche immer wieder gegen den Rechtsextremismus engagiert und unter anderem auch an Protestdemonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche teilgenommen.

Nach den Pannen bei der Aufklärung der rechtsextremistischen Mordserie fordert die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, die Zusammenarbeit mit V-Leuten grundsätzlich zu beenden. „Ich glaube, dass der Staat jetzt Abstand von V-Leuten nehmen muss“, sagte Roth dem Hamburger Abendblatt. „V-Leute aus der rechtsextremen Szene sind und bleiben Nazis.“ Diese hätten nachweislich nicht die Informationen geliefert, die notwendig waren. Kritik übte Roth am Verfassungsschutz.

Sie frage sich, wen dieser eigentlich schütze. Die Grünen-Chefin bekräftigte zugleich ihre Forderung nach einem NPD-Verbot. Die Partei sei offen verfassungsfeindlich. „Ihre Verbindungen zu den rechtsextremen gewalttätigen Kameradschaften sind offensichtlich“, sagte Roth. Die Politik müsse sich aber so vorbereiten, „dass klar ist, dass der Verbotsantrag Erfolg hat“.

Deutsche glauben, dass V-Leute notwendig sind

Im Kampf gegen den Rechtsextremismus setzt jeder zweite Deutsche auf ein NPD-Verbot. Dies ergab der neue Deutschlandtrend, eine Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des ARD-Morgenmagazins. Demnach sind 52 Prozent der Deutschen dafür, die NPD zu verbieten. 42 Prozent reicht es aus, bestehende Gesetze schärfer anzuwenden. 55 Prozent der Befragten halten den Einsatz von V-Männern für die Bekämpfung rechtsextremistischer Terrorzellen für eher hilfreich. 33 Prozent meinen, dass das Engagement von V-Männern eher hinderlich im Kampf gegen den Rechtsextremismus ist.

Verfassungsschutz reaktiviert Pensionäre im Kampf gegen braunen Terror

Unterdessen muss das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Ex-Mitarbeiter im Ruhestand zurückgreifen, um fehlende Informationen über rechtsextremistische Kreise rekonstruieren zu können. „Es werden Sachbearbeiter befragt, die längst pensioniert sind“, sagte der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach Bosbach der „Mitteldeutschen Zeitung“ mit Verweis auf entsprechende Auskünfte in der Innenausschuss-Sitzung am vergangenen Montag. Grund ist die Vorgabe des Verfassungsschutzgesetzes, wonach personenbezogene Akten nach fünf Jahren vernichtet und nur in besonderen Fällen zehn Jahre lang aufbewahrt werden dürfen.

Rechtsextreme NPD in Bedrängnis

Die Mordserie von Neonazis hat die rechtsextremistische NPD in Bedrängnis gebracht. Der neue Parteichef Holger Apfel wittert ernste Gefahr, denn die Gewalttaten der braunen Szene liefern den Befürwortern eines NPD-Verbots weitere Munition. In seinem ersten Rundschreiben an die Mitgliedschaft nach seiner Wahl bemühte sich Apfel um Distanz. Er sprach von „durchgeknallten Mördern“ und dem Versuch politischer Gegner, „die NPD in die Nähe zu bisher nicht einmal einwandfrei zuzuordnenden kriminellen Handlungen Einzelner zu rücken, um abwegige Verbotsgründe zu konstruieren.“

Doch nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden ist die Partei schon lange vernetzt mit gewaltbereiten Neonazis, die sich in Kameradschaften oder bei den sogenannten freien Kräften sammeln. Erst kürzlich hielt Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) der NPD vor, einem verurteilten Gründungsmitglied der 2001 verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ zu einer Stelle als Fraktionsmitarbeiter verholfen zu haben. Die Partei sitzt seit 2004 mit Apfel als Fraktionschef im Dresdner Landtag.

Seit Jahren registrieren Verfassungsschützer, dass sich die Neonazi-Szene zunehmend in kleinen Gruppen organisiert. Statt straff strukturierter Kameradschaften gibt es immer mehr sogenannte freie Kräfte, Gruppen in der Regel mit bis zu 15 Mitgliedern. Mit diesem Wandel reagierte die Szene auf Verbote gewalttätiger Kameradschaften wie „Skinheads Sächsische Schweiz“ oder in Berlin „Frontbann 24“ mit schätzungsweise bis zu 120 Mitgliedern. Denn kleine Gruppen bieten weniger Angriffspunkte, so deren Kalkül mit Blick auf die Sicherheitsbehörden. Handy und Internet sorgen für Kontakt im übergreifenden „Freien Netz“.

Mecklenburg-Vorpommerns NPD-Fraktionschef Udo Pastörs, der mittlerweile auch im Bundesvorstand seiner Partei sitzt, sagt ganz offen, dass die NPD auf „freie Kräfte“ nicht verzichten könne. Man brauche sie etwa als Wahlkampfhelfer. Für Bernd Wagner, den Gründer der Aussteigerinitiative Exit in Berlin, gibt es schon lange keine Zweifel mehr: „NPD und freie Kräfte – das sind eineiige Zwillinge, die sich gegenseitig das Geschäft besorgen.“ Exit hat nach eigenen Angaben seit der Gründung vor elf Jahren mehr als 300 Rechtsextremisten beim Ausstieg aus der braunen Szene geholfen. (abendblatt.dedpa/dapd)