Schritt für Schritt leuchten die Ermittler die Ausmaße des Neonazi-Terrors aus. Womöglich war die Zelle aus Zwickau größer als vermutet.

Berlin/Erfurt/Karlsruhe. Erst waren es drei Personen, die der Zwickauer Neonazi-Terorzelle angehörten. Dann wurde eine weitere mit ihr in Verbindung gebracht - und jetzt womöglich noch mehr. Die Ermittler haben neben den beiden bereits Verhafteten zwei weitere Personen im Visier. Bund und Länder wollen nach den Fahndungspannen der vergangenen Jahre rechtsextremen Terror mit mehr Kooperation und Zentralisierung bei den Sicherheitsbehörden bekämpfen. Aufklärung über mögliche Helfer ist von der mutmaßlichen Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe vorerst nicht zu erhoffen: Sie will bis auf weiteres nicht aussagen.

Zschäpe und der in Niedersachsen festgenommene Holger G. sitzen bereits in Untersuchungshaft. Nun gibt es zwei weitere Beschuldigte. Es seien "zwei plus zwei“, teilte Generalbundesanwalt Harald Range am Freitag in Berlin mit. Nach früheren Medienberichten haben die Ermittler zwei Thüringer Neonazis im Visier. Sie sollen das Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Böhnhardt und Mundlos sind tot, sie haben sich laut Behörden selbst umgebracht.

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Das Ausmaß der Unterstützung für die Neonazi-Terroristen stellt für die Ermittlern bisher ein Rätsel dar. "Das kann auf ein Netzwerk hinauslaufen“, sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke. Die rechtsextreme Gruppe Thüringer Heimatschutz, aus der der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) entstanden ist, habe zeitweise 170 oder 180 Mitglieder gehabt. Auch in Sachsen und Brandenburg gab es Hinweise auf mögliche Unterstützer.

Zschäpe, die im Frauentrakt des Gefängnisses in Köln-Ossendorf einsitzt, will entgegen anderslautender Berichte zunächst nicht aussagen. "Ich habe heute mit ihr gesprochen und ihr den Rat erteilt, derzeit nichts zur Sache zu sagen. Sie wird diesen Rat auch befolgen“, sagte ihr Anwalt, der Kölner Strafrechtler Wolfgang Herr. Nach Angaben der Gefängnisleitung hat die 36-Jährige auch bisher keinen Besuch von BKA-Beamten erhalten.

Eine geplante Festnahme des Neonazi-Trios wurde laut MDR Ende der 90er Jahre in letzter Minute gestoppt. Fahnder hätten die drei Verdächtigen zwischen 1998 und 1999 in Chemnitz in Sachsen aufgespürt. Ein Spezialeinsatzkommando des Landeskriminalamtes sei kurz vor dem Aufbruch nach Sachsen gestoppt worden.

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Nach dem Treffen in Berlin kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die Einrichtung einer zentralen Datei über Rechtsextremisten an. Darauf hätten sich die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern bei ihrem Sondertreffen geeinigt, sagte der CSU-Politiker am Freitag nach Ende der Gespräche. Er verwies auf die bereits existierende ähnliche Datei über Islamisten. Diese funktioniere "sehr gut“.

Außerdem werde ein "Abwehrzentrum Rechts“ gegründet, sagte Friedrich. Daran sollten sich das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligen. Noch besprochen werde, inwieweit die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden der Länder und die Bundesanwaltschaft dabei mitarbeiten sollten.

Beim Gipfel haben die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern über Konsequenzen aus der Mordserie beraten. Mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden erörterten sie den Stand der Ermittlungen zu den Taten des Neonazi-Trios aus Zwickau. Auch Pannen und Versäumnisse bei der Fahndung sollten zur Sprache kommen. Inzwischen ist ein neuer Datenträger aufgetaucht, der dem Zwickauer Neonazi-Trio zugerechnet wird. Dort sind etwa 10.000 Namen aufgelistet, darunter Politiker wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsiden Kurt Beck , Kirchen und Vereine gegen Rechts.

Justizministerin skeptisch zu neuem NPD-Verbotsverfahren

Nach Angaben von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) haben sich Bund und Länder auf einen besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus geeinigt. "Alle Akten müssen auf den Tisch“, sagte die Ministerin nach dem Krisengipfel in Berlin. "Es gibt noch heute kein umfassendes Lagebild, was wir zu diesem Komplex erstellen können“, meinte sie zu den Ermittlungen in der rechtsextremistischen Mordserie. Auch regionale Informationen müssten so schnell wie möglich zusammengetragen werden, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.

Ein mögliches neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextremistische NPD will Leutheusser-Schnarrenberger akribisch prüfen. Es dürfe "auf gar keinen Fall passieren“, dass ein solches Verfahren noch einmal "sehenden Auges“ scheitert, sagte die FDP-Politikerin nach dem Berliner Sondertreffen. Dabei verwies sie auf den gescheiterten Anlauf zu einem NPD-Verbot im Jahr 2003.

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"Nur wenn wir uns alle gewiss sind“, dass die Lage anders sei als beim damaligen Verfahren, könne ein Verbot der Partei erneut beantragt werden, mahnte Leutheusser-Schnarrenberger. Eine Arbeitsgruppe der Landesinnenminister werde sich damit befassen.

Unmittelbar vor der Berliner Konferenz hatte Leutheusser-Schnarrenberger für eine stärkere Konzentration von Verfassungsschutzämtern plädiert. Statt über 16 Landesämter könnte man auch über drei oder vier nachdenken, sagte die FDP-Politikerin der "Süddeutschen Zeitung“: "Das gesamte Alarmsystem gegen Rechts hat nicht funktioniert.“

Auf einem neuen Datenträger, der dem Zwickauer Neonazi-Trio zugerechnet wird, sind etwa 10.000 Namen aufgelistet. Auf der Liste sollen Politiker – darunter Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) – sowie Kirchen, SPD-Ortsvereine und Vereine gegen Rechts stehen. Ob all diese Namen im Fadenkreuz der Terrorzelle standen, ist unklar. Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzt die Daten, die mehrere Jahre alt sein sollen, laut den Kreisen bisher zurückhaltend ein. Berliner Sicherheitskreise bestätigten der Nachrichtenagentur dpa am Freitag die Existenz des Datenträgers.

Sicherheitsbehörden sprechen nicht von "Todeslisten"

Die "Rhein-Zeitung“ berichtete von einem USB-Stick von 2007, auf dem auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), und der jetzige FDP-Bundestagsfraktionschef Brüderle stehen sollen. Die Terroristen hätten die Privatadressen, oft auch die Telefonnummern ermittelt.

Sicherheitsbehörden sprachen gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ nicht von Todeslisten, sondern von einer Sammlung von Daten, die für die Zwecke der Rechtsextremisten offenbar relevant waren. Derzeit würden die Daten - auf die einzelnen Bundesländer heruntergebrochen - von den dortigen Sicherheitsbehörden ausgewertet. Das Zwickauer Trio wird für zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin in Heilbronn verantwortlich gemacht.

Es ist nicht die erste Liste der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Ermittler hatten in der abgebrannten Zwickauer Wohnung der drei eine Liste mit 88 Posten gefunden – darunter auch die Namen des Grünen-Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag und des CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhl. Das BKA hatte jedoch erklärt, dass es nach bisherigen Erkenntnissen keine konkreten Anschlagspläne gegeben habe.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, beklagte, dass die Behörden keine Auskunft über jene Listen geben würden. "Wir haben bei den Sicherheitsbehörden angefragt. Aber wir haben keine Informationen bekommen. Es wäre sinnvoll, wenn es hier mehr Transparenz gebe“, sagte Mazyek der "Mitteldeutschen Zeitung“.

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Mit Material von dpa und rtr