Die von der EU und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geplante Steuer würde Großbritannien nach eigenen Angaben rund 43 Milliarden Euro pro Jahr kosten.

Berlin/London. Anhalten der Eiszeit oder Annäherung in Fragen der europäischen Schuldenkrise? Heute treffen in Berlin Angela Merkel (CDU) und David Cameron zusammen. Vor der Zusammenkunft der Bundeskanzlerin und des britischen Premierministers sind in Großbritannien neue Ängste vor europäischen Eingriffen geschürt worden. Der "Daily Telegraph“ berichtete unter Berufung auf ein vertrauliches Papier aus dem Außenministerium in Berlin, es gebe Pläne, eine neue EU-Finanzbehörde mit großen Befugnissen aufzubauen.

Das sechsseitige Papier enthalte zudem Pläne zum Aufbau einer neuen EU-Behörde, einer Art Europäischem Währungsfonds, schreibt das Blatt. Die Behörde solle in die Haushalte überschuldeter EU-Staaten eingreifen können, wenn diese zu groß seien, um unter den Rettungsschirm zu schlüpfen. Der Fonds solle die Macht haben, die Volkswirtschaften der betreffenden Länder zu steuern.

+++ Merkel fordert weitere Schritte zur Euro-Stabilisierung +++

Diese Änderungen an den EU-Verträgen seien aber nur eine erste Stufe in der "Entwicklung der EU zu einer politischen Union“, zitiert der "Telegraph“ aus dem Schreiben. Es beinhalte auch die Forderung an Großbritannien, auf ein Referendum zu verzichten.

Großbritannien hatte in den vergangenen Wochen stets deutlich gemacht, es wolle mehr Macht aus Brüssel auf die Insel zurückholen, statt mehr Befugnisse abzugeben. Großbritannien wehrt sich ferner gegen eine von Deutschland und anderen EU-Staaten propagierte Finanztransaktionssteuer, deren Bedeutung Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erst am Donnerstag erneut unterstrichen hatte.

Deren Einführung wäre wegen der Größe des Finanzplatzes London eine "Steuer auf Großbritannien“, hatte der britische Wirtschaftsminister Vince Cable erklärt. In Großbritannien wird befürchtet, dass die Steuer das Land jährlich 37 Milliarden Pfund (rund 43 Milliarden Euro) kosten würde. Durch den befürchteten Abzug großer Finanzdienstleister könnten zehntausende Jobs in der City verloren gehen, sagen Skeptiker.

Merkel favorisiert mehr Europa, Cameron will weniger

Auch in Berlin dürfte die alte Linie gelten: Merkel favorisiert mehr Europa, Cameron will weniger. Die Bundeskanzlerin will Wirtschaft und Finanzen in der EU harmonisieren und pocht auf Änderungen der EU-Verträge. Dabei soll es vor allem um ein europäisches Eingriffsrecht in nationale Haushalte gehen. Die Defizitsünder in der 17 Länder umfassenden Euro-Zone sollen künftig stärker sanktioniert werden können. Ein "Durchbruch zu einem neuen Europa" könne nur mit Vertragsänderungen gelingen, sagte Merkel gestern bei einer Veranstaltung der "Süddeutschen Zeitung". Das Problem: Alle 27 EU-Staaten müssten den Änderungen zustimmen. Und nicht nur Großbritannien ist äußerst skeptisch. Die neue dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt reagierte bei ihrem Berlin-Besuch am Donnerstag zurückhaltend auf die Forderung. Man werde darüber beim EU-Gipfel im Dezember beraten, sagte sie. Zunächst müsse man die Krise als solche angehen. Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker setzte die Kanzlerin an einer anderen Stelle unter Druck: Er halte den Schuldenstand der Bundesrepublik für besorgniserregend, sagte er dem "Bonner General-Anzeiger". Deutschland habe höhere Schulden als Spanien. "Nur will das hier keiner wissen", sagte Juncker.

+++ Briten machen Front gegen ein "deutsches Europa" +++

In Großbritannien hatte Cameron vor einigen Tagen angekündigt, sich angesichts der Krise wieder mehr Kompetenzen aus Brüssel zurückholen zu wollen. Die EU brauche die "Flexibilität eines Netzwerks und nicht die Starre eines Blocks." Diese Linie kommt den Euro-Skeptikern in seiner Regierung entgegen. Vor allem treibt sie die Sorge um, die Gemeinschaft könnte sich zu einem geteilten Europa aus der Euro-Zone einerseits und den zehn EU-Staaten andererseits entwickeln. Cameron sieht die Gefahr, sein Mitspracherecht zu verlieren, wenn die Euro-Zone unter deutscher Dominanz immer mehr unter sich ausmacht. Aufregung in der britischen Presse hatte deshalb Unionsfraktionschef Volker Kauder auf dem CDU-Parteitag ausgelöst. Sein Satz "Europa spricht jetzt deutsch" kam auf der Insel gar nicht gut an.

Mit Material von dpa