Bundeskanzlerin Merkel wirft Großbritanniens Premier Cameron Egoismus vor. Der Zwist zwischen Berlin und London hält an.

Berlin. Es war der Tag der Vornamen im Kanzleramt. Der britische Premierminister David Cameron war zu Besuch, und die deutsche Bundeskanzlerin redete ihren Gast immer wieder demonstrativ mit "David" an. Das klingt erstens freundlich und zweitens englisch, und beide Eindrücke waren durchaus erwünscht. Denn in den vergangenen Tagen war auf der Insel das Gegenteil zu lesen gewesen: Unfreundlich und unbritisch sei Deutschland geworden.

Der Anlass für das mit dem traditionell sehr groben Pinsel der britischen Presse gezeichnete Bild war eine Rede von Volker Kauder, Merkels Fraktionschef, auf dem CDU-Parteitag in Leipzig gewesen. Kauder hatte gesagt: "Nur den eigenen Vorteil suchen zu wollen und nicht bereit sein, sich auch einzubringen, das kann nicht die Botschaft sein, die wir den Briten durchgehen lassen."

Das war auf die Finanztransaktionssteuer gemünzt, deren europaweite Einführung die Briten blockieren.

Leider hatte sich Kauder vor einem begeisterten Saal noch dazu hinreißen lassen, an einer anderen Stelle seiner Rede auszurufen: "Jetzt auf einmal wird in Europa deutsch gesprochen" - womit er meinte, dass Merkels Plan zur Euro-Rettung sich durchgesetzt habe.

+++ Briten machen Front gegen ein deutsches Europa +++

Die Briten jedoch ließen beide Sätze ineinanderfließen und hängten daran alte Angstbilder vom Weltkrieg und abzuwehrender deutscher Herrschaft. Besorgniserregender als die öffentliche Rabulistik muss die Bundesregierung stimmen, dass auch Intellektuelle und ausgewiesene Deutschlandfreunde Kauder kritisierten: So erfand der Historiker Timothy Garton Ash im "Guardian" das Verb "to kauder", das "Populismus verbreiten" bedeuten solle.

Weder Kauder noch Merkel hatten freilich ihre Freunde vergrätzen wollen. In Wirklichkeit werben sie nämlich mit großer Energie um die halsstarrigen Briten: hinter den Kulissen, aber auch davor. So gehört der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, durch seine andauernde TV-Präsenz in BBC-Talkshows und Nachrichtensendungen schon fast zum Wohnzimmerinventar des politisch interessierten Briten.

Altmaier wird weiter werben müssen. Denn so freundlich auch "dear David" mit "dear Angela" umging - in der Sache bewegte sich der Premier keinen Millimeter auf die Kanzlerin zu. Etwa bei der Finanztransaktionssteuer, die der Brite nur "global" will, also de facto gar nicht. Und bei der Euro-Rettung. Hier wurden die unterschiedlichen Ansätze auf der Pressekonferenz öffentlich. Merkel hatte ihre Politik beschrieben, die "Schritt für Schritt" an einer Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit in der Euro-Zone arbeiten will, um so Anleger zu überzeugen. Cameron hielt dem, den Widerspruch kaum verhehlend, entgegen: Möglichst hohe "Feuerkraft", also der maximale Einsatz aller Mittel, sei nun geboten. Wer so denkt, hält "Schritt für Schritt" wohl für unverantwortliches Zögern.

Vielleicht korrigierte Merkel den Premierminister deshalb in der Öffentlichkeit: Die Forderung nach großer Feuerkraft, um Vertrauen zurückzugewinnen, sei richtig, sagte die Kanzlerin, aber: "Man sollte keine Kraft vortäuschen, die man nicht hat, weil die Märkte schnell herausbekommen werden, dass dies nicht funktioniert." Der Dissens bei der zentralen Herausforderung ist also fundamental - und nicht gelöst.

Umso stärker versuchten die Regierungschefs deshalb Gemeinsamkeiten in anderen Fragen zu betonen. Beide erklärten, sie hielten eine Erhöhung des Budgets der Europäischen Kommission lediglich im Rahmen der Inflationsrate für möglich. Dies ist für Cameron wichtiger als für Merkel: Denn der Brite sieht sich einer großen Euro-skeptischen Gruppe in seiner eigenen Parlamentsfraktion gegenüber. Hinter der Uneinigkeit stehen handfeste Interessen: Camerons Abgeordnete glauben, einer Finanztransaktionssteuer nicht zustimmen zu können, weil ein Verlust auch nur eines Teils der Londoner Investmentbanken und Hedgefonds die ohnehin taumelnde britische Ökonomie vollends erledigen könnte. Deutschland hat sich hingegen nie in eine vergleichbare Abhängigkeit begeben und fürchtet eher die Auswirkungen, die ein sich von realen Geschäften abkoppelnder Finanzsektor auf die Wirtschaft haben könnte.

Hier schwingen auch zwischen den Parteien Camerons und Merkels alte Animositäten mit: Der CDU-Kanzler Helmut Kohl verweigerte die marktwirtschaftlichen Reformen, die Tory-Premierministerin Maggie Thatcher einst durchsetzte. Selbstverständlich ist auch der Weltkrieg nicht vergessen: "Mein Deutsch ist nicht so gut", scherzte Cameron, "aber ich glaube, Bazooka ist 'Superwaffe'." Hier irrt der Premier: Die von ihm empfohlene Bazooka für die Finanzmärkte heißt auf Deutsch "Panzerfaust". Die "Superwaffe" erinnert eher an die in Britanniens Kriegserinnerungen sehr präsente V2: ein Wunderding von Rakete, das sich als Mordinstrument entpuppte.