Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, fordert Steuererhöhungen. Eine Wahlempfehlung für 2013 lehnt er allerdings ab.

Berlin. Deutschlands oberster Gewerkschafter glaubt an die Vereinigten Staaten von Europa. Bis dahin sieht der DGB-Chef allerdings die EU-Staaten noch in der Pflicht, sich eine neue Verfassung zu geben. Für Michael Sommer ist die Stärkung des Europäischen Parlaments die Voraussetzung für eine europäische Wirtschaftsregierung.

Hamburger Abendblatt: Herr Sommer, wann wird die europäische Schuldenkrise beim deutschen Arbeitnehmer ankommen?

Michael Sommer: Wenn es die Bundesregierung gemeinsam mit den europäischen Staaten nicht endlich schafft, die Schuldenkrise zu meistern, werden die Arbeitnehmer darunter leiden. Der Euro muss jetzt stabilisiert werden, um die Absatzchancen der deutschen Wirtschaft zu sichern. Die Unternehmen brauchen dringend dieses Signal. Und ohne dass gleichzeitig die Kapitalmärkte an die Kette genommen werden, werden wir es auch nicht schaffen.

Was versprechen Sie sich von der europäischen Wirtschaftsregierung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel plant?

Sommer: Merkels und Sarkozys Vorschlag ist reiner Etikettenschwindel, weil er viel zu unkonkret ist. Eine europäische Wirtschaftsregierung braucht eine demokratische Legitimation und Kontrolle. Langfristig brauchen wir mehr gemeinsame Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Das Europäische Parlament muss das Recht bekommen, eine solche gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik wirksam zu kontrollieren und zu beeinflussen. Aber die Verträge von Lissabon geben diese Befugnisse nicht her. Wer eine europäische Wirtschaftsregierung will, braucht eine Neuschreibung des Lissabonner Vertrags. Jetzt ist die Zeit, eine neue europäische Verfassungsdebatte anzustoßen.

Mit dem Ziel der Vereinigten Staaten von Europa?

Sommer: Ich bin mir sicher, dass wir eines Tages die Vereinigten Staaten von Europa haben werden. Ich glaube aber nicht, dass ich sie selbst noch erleben werde. Das ist ein Langfristprojekt.

Welchen Spitzensteuersatz gäbe es in einem vereinigten Europa?

Sommer: Klar ist, dass man nicht nur über eine striktere Ausgabendisziplin, sondern auch über die Einnahmeseite reden muss. Hätten wir beispielsweise in Deutschland noch das Steuerrecht des Jahres 2000, würden wir heute 50 Milliarden Euro mehr pro Jahr einnehmen.

Inzwischen melden sich Reiche zu Wort, die mehr Steuern zahlen wollen. Wollen Sie eine Millionärsabgabe?

Sommer: Wir brauchen vor allem eine große Steuerreform. Dabei geht es nicht nur um die Einkommenssteuer, sondern zum Beispiel um die Abschaffung der Abgeltungssteuer. Auch ein wesentlich höherer Spitzensteuersatz muss mit einer Korrektur des Tarifverlaufs verbunden werden, damit die Grenzsteuerbelastung der Arbeitnehmer gesenkt wird. Ich halte zudem eine Vermögenssteuer von einem Prozent ab einem Vermögen von 500 000 Euro für sinnvoll. Für genauso sinnvoll halte ich die angemessene Besteuerung von Erbschaften und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Die schwarz-gelbe Koalition pocht aber weiterhin auf Steuersenkungen ...

Sommer: Die FDP redet dem armen Staat das Wort. Davon haben die Menschen nichts. Auf dem Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise eine Senkung der Steuern und Sozialabgaben zu fordern ist verantwortungslos.

Die Liberalen wollen wieder mit den Gewerkschaften ins Gespräch kommen. Wollen Sie auch mit der FDP reden?

Sommer: Ich habe drei Anläufe genommen, Herrn Rösler zu treffen, aber er hatte nie Zeit. Danach habe ich die Bemühungen eingestellt. Mit Guido Westerwelle war es am Anfang auch nicht leicht. Inzwischen reden wir ganz selbstverständlich miteinander.

Falls es noch zum Treffen mit Rösler kommt: Was wollen Sie ihm sagen?

Sommer: Ich würde ihm sagen: Herr Rösler, ich habe Verständnis dafür, dass Sie Ihre Wählerklientel bedienen wollen. Aber Sie sind als Minister verantwortlich für den Staat. Ich werde alles tun, dass Sie sich mit Ihren politischen Vorstellungen nicht durchsetzen.

Wie sollte der FDP-Chef mit seinem umstrittenen Außenminister Westerwelle umgehen?

Sommer: In die inneren Belange von Parteien und Koalitionen mische ich mich nicht ein. Ein Punkt ist mir aber wichtig. Als Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes halte ich es für äußerst problematisch, dass wir eine Regierung haben, die ihrem Außenminister offensichtlich nicht mehr vertraut. Ein Außenminister muss getragen werden von seiner Regierung.

Herr Sommer, Sie haben ein SPD-Parteibuch. Welches Thema sollten die Sozialdemokraten für sich beanspruchen?

Sommer: Die SPD sollte sich einer neuen Ordnung von Arbeit widmen. Denn die alte Ordnung haben wir in Deutschland verloren. Die neue Ordnung der Arbeit - dafür würde sich ein Wahlkampf lohnen. Beim Thema Arbeit kann eine linke Volkspartei viel mehr bei den Wählern punkten, als wenn sie ständig über ihre Troika spricht.

Welcher SPD-Kanzlerkandidat wäre dem DGB am liebsten?

Sommer: Es gibt keinen Wunschkandidaten des DGB. Die Wähler brauchen keine Wahlhilfe der Gewerkschaften.

Welche Qualitäten muss der Merkel-Herausforderer mitbringen?

Sommer: Er oder sie sollte fähig sein, Wahlen zu gewinnen. Und das schon einmal bewiesen haben. Er oder sie sollte das gesamte Spektrum der Partei glaubhaft vertreten.

Wird der DGB eine Wahlempfehlung für 2013 aussprechen?

Sommer: Wir sind dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft verpflichtet und parteipolitisch unabhängig. Deshalb werden wir uns nicht parteipolitisch positionieren. Das wäre ein Rückschritt, den ich nicht will. Wir mischen uns inhaltlich ein, aber nicht parteipolitisch.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen DGB und SPD beschreiben?

Sommer: Konstruktiv, kritisch, voneinander unabhängig, aber miteinander bemüht.

Bleiben wir bei 2013. Ist die Linkspartei regierungstauglich?

Sommer: Ich sehe bei den Linken niemanden, der Regierungsverantwortung übernehmen möchte. Es fehlt ohnehin die Machtperspektive, denn eine Annäherung zwischen der Linken auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite findet nicht statt. Mir ist auch nicht mehr klar, welchen Wert die Arbeit für die Linke noch hat. Relevante Teile der Partei fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen. Diese Programmatik ist gesellschaftspolitisch verheerend. Da hilft es auch nicht, wenn die Partei an anderer Stelle Gewerkschaftspositionen übernimmt.

Enttäuscht Sie das?

Sommer: Um Enttäuschung geht es hier nicht. Ich stelle nur fest, dass sich Rot-Rot-Grün 2013 nicht realisieren wird.

Braucht Deutschland überhaupt noch die Linkspartei?

Sommer: Die Linkspartei ist vor allem entstanden, weil es eine große Gruppe enttäuschter SPD-Anhänger gab. Diese Frage sollte sich also lieber die SPD stellen.