Neuem Wehrdienst und Freiwilligendienst droht blamabler Start. Hamburgs Sozialsenator sieht Mitschuld bei Familienministerin.

Hamburg/Berlin. Verteidigungsminister Thomas de Maizière musste selbst lächeln, als er den Satz sprach: "Hier entlang, und bitte nicht weglaufen." Dann schüttelte der CDU-Politiker einigen Dutzend jungen Männern die Hand, die sich an diesem Juli-Tag vor der Julius-Leber-Kaserne in Berlin versammelt hatten: Rekruten, die sich nach dem Ende der Wehrpflicht freiwillig zum Dienst gemeldet hatten. Von den Freiwilligen der ersten Stunde kamen 50 aus Hamburg, 146 aus Schleswig-Holstein, 412 aus Niedersachsen.

Einen Monat später klingt der Satz de Maizières wie ein Stoßgebet. Der Bundeswehr laufen schon jetzt die neuen Rekruten weg: Laut "Bild"-Zeitung sind von 3419 freiwillig Wehrdienstleistenden 440 schon ausgeschieden. Die Zeitung beruft sich dabei auf den Bundeswehrverband.

Die Ursachen für den Personalschwund scheinen vielfältig zu sein: Berichten zufolge ist es mal das ständige Warten und der Drill, mal das frühe Aufstehen oder zu kurze Zigarettenpausen.

Der Chef des Bundeswehrverbandes Ost, Uwe Köspel, sagte, die Abbrecherquote von etwa 13 Prozent entspreche ungefähr den Ausfällen, die es zur Zeit der Wehrpflicht gegeben habe. Ministeriumssprecher Stefan Paris lehnt es ab, selbst Zahlen zu nennen. Bisher gebe es keine belastbaren Daten, sondern lediglich einzelne Rückmeldungen von der Truppe. Eine erste Bilanz werde Anfang Oktober gezogen. Ein Bundeswehrsprecher sagte dem Abendblatt, sollten die Zahlen so bleiben, sei das nicht besorgniserregend: "Wir befürchten keinen Personal-Engpass."

Dagegen interpretierte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold die Zahlen durchaus dramatisch. "Wenn die Regierung nicht nachsteuert, wird der Bundeswehrdienst in ein bis zwei Jahren scheitern", sagte Arnold der WAZ. Er forderte, den Dienst durch Bonuspunkte für Studienplätze oder Praktikabescheinigungen attraktiver zu machen. Arnold kritisierte auch die Werbung. Diese sei nicht ehrlich gewesen. "Es wurde suggeriert: Komm zur Bundeswehr, und dann stehen dir alle Türen offen", sagte Arnold. "Das war eine Werbung für Technikbegeisterte, doch nicht jeder wird Tornadopilot."

Auch beim zivilen Pendant zum neuen Wehrdienst, dem Bundesfreiwilligendienst (BFD oder "Bufdi"), tut sich die Bundesregierung schwer mit dem Werben um freiwillige Helfer. Wie der "Spiegel" berichtet, waren zum Start des Dienstes - einer Idee der Familienminister Kristina Schröder (CDU) - Anfang Juli von 35 000 geplanten BFD-Stellen erst 6000 besetzt.

Das merken auch Hamburger Sozialeinrichtungen wie die Diakonie. Gestern begrüßte sie in der Zentrale in der Königstraße 140 junge Menschen. Ein Jahr lang wollen sie sich engagieren. Doch nicht einer von ihnen ist im neuen Bundesfreiwilligendienst. Alle absolvieren das alte Freiwillige Soziale Jahr (FSJ), eine Einrichtung der Bundesländer. Einer von ihnen ist der 20 Jahre alte Manuel Mejorada. Er arbeitet bei der Mobilen Spielaktion in Winterhude. "Danach möchte ich studieren, und zuvor will ich ein wenig Geld sparen und Erfahrungen bei der Arbeit mit Menschen sammeln", sagt Mejorada. Vom Bundesfreiwilligdienst hat er erst gehört, als er sich bei der Diakonie für das FSJ beworben hat. Sein Bruder hat vom sozialen Jahr geschwärmt, das er im vergangenen Jahr absolviert hat. "Ich wollte mich auf etwas einlassen, was ich kenne", sagt Mejorada. "Beim Bundesfreiwilligendienst gab es nicht einmal einen richtigen Vertrag." Er hätte erst einmal nur eine Absichtserklärung unterzeichnen müssen.

Gibt es Kindergeld? Zählt der Dienst als Wartesemester für das Studium? Wer zahlt das Fahrgeld? Es sind diese rechtlichen Unsicherheiten, über die sich die sozialen Verbände bei der Einführung des Freiwilligendienstes beklagten. "Der Dienst war politisch völlig über das Knie gebrochen", sagt Ulrike Kotthaus von der Diakonie in Hamburg. Das Kindergeld wird nun gezahlt - doch die rechtlichen Rahmenbedingungen seien noch immer viel zu unsicher, sagt Kotthaus. Die Diakonie hat viel geworben und dafür eigens eine Agentur angeheuert. Im Internet können junge Menschen in einem "Typencheck" herausfinden, ob sie Teamplayer, Durchstarter oder Abenteurer sind - und sich danach den Ort ihres Engagements suchen. 30 000 Flyer hat die Diakonie gedruckt und an Schulen und auf Arbeitsämtern verteilt. Geholfen hat es wenig. Wer die Jugendlichen nach dem Bundesfreiwilligendienst fragt, hört vor allem Desinteresse oder Skepsis.

Das Familienministerium in Berlin will nun nach dem mühsamen Start reagieren. So wird laut "Spiegel" darüber nachgedacht, BFD und FSJ zu verschmelzen. In der CSU wurden gar Überlegungen angestellt, wieder eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen.

Und auch mit einer Quote will das Familienministerium nun nachhelfen: Die Wohlfahrtsverbände wurden verpflichtet, dass auf drei FSJ-Plätze zwei Plätze des neuen Freiwilligendienstes kommen müssen. Die Quote war in mehreren Bundesländern und Verbänden auf heftige Kritik gestoßen, weil sie zulasten des FSJ gehe. Auch Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ist verärgert. Er fürchtet, dass der Bund aufgrund der Quote finanzielle Zusagen an die Länder für das FSJ nicht einhält. In einem Brief an Familienministerin Schröder, der dem Abendblatt vorliegt, fordert Scheele: "Ich bitte Sie eindringlich, Zusagen (...) einzuhalten und auch die Menschen, die sich für die Freiwilligendienste interessieren, nicht weiter zu verunsichern". Hamburgs Senator sieht auch bei den Sozialverbänden eine starke Verunsicherung.

Für das Familienministerium gibt es dagegen keinen Grund zur Sorge. Ziel sei keine Verschmelzung der Freiwilligendienste, sondern ihre gleichberechtigte Behandlung, sagte Staatssekretär Josef Hecken dem Abendblatt. Hecken zeigte sich zufrieden mit den 50 000 Bewerbern für ein Freiwilligenjahr. "Mit den 35 000 FSJ-Plätzen und den zusätzlichen 35 000 Bundesfreiwilligendienstplätzen können wir diese Nachfrage decken. Das setzt aber voraus, dass beide Dienste vernünftig beworben werden, um eine gleichmäßige Verteilung zu erzielen." Für den einzelnen Freiwilligen sei es "völlig belanglos" ob er FSJ oder BFD mache, beides seien "sehr attraktive Angebote". "Der große Vorteil des BFD ist, dass er sich an Männer und an Frauen jeden Alters nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht richtet", hob Hecken hervor. Das FSJ existiere schon seit 1964. Es sei klar, dass der BFD erst anlaufen und bekannt werden müsse. Damit das gelinge, müssten alle zusammen helfen - Bund, Länder und Verbände. Die Freiwilligendienste fördere der Bund mit 350 Millionen Euro pro Jahr - so viel wie nie.

Die Verbände gehen längst ihre eigenen Wege: Sowohl die Diakonie als auch das Deutsche Rote Kreuz in Hamburg denken darüber nach, künftig stärker 400-Euro-Kräfte für ihre Dienste einzusetzen.