Erneut könnten trotz Rekordansturms 17.000 Studien-Plätze frei bleiben. Ein neues System wird es zum Wintersemester noch nicht geben.

Hamburg/Berlin. Als die jungen Abiturienten in den vergangenen Wochen ihre Bewerbungen für die Universität Hamburg ausfüllten, kamen sie auch immer wieder ins Büro des Allgemeinen Studierenden Ausschusses (AStA). Mindestens 20 angehende Studenten waren es pro Tag, manchmal kamen 25. Und sie brachten neben den Unterlagen vor allem ihre Sorgen mit zum AStA. Wird man einen Platz bekommen in Hamburg? Was kann man tun, wenn man abgewiesen wird?

"Mit großer Wahrscheinlichkeit wird eine Vielzahl an Bewerbern die Zusage zu dem von ihnen angestrebten Studiengang nicht erhalten", sagt Daniel Oetzel, Referent für Hochschulpolitik beim AStA. Die Sorgen sind also berechtigt - nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland. Denn die Universitäten stehen vor einem Zulassungs-Chaos. Das Bildungsministerium rechnet wegen der Aussetzung von Wehr- und Zivildienst mit bis zu 60.000 zusätzlichen Bewerbern. Und eigentlich hätte es ein neues, zentrales Studienplatz-Vergabesystem geben sollen, in das Hausherrin Annette Schavan (CDU) 15 Millionen Euro investiert hat. Doch der Start ist wegen politischer Querelen und Planungsproblemen bereits zweimal gescheitert. Jetzt ist das neue System auf nächstes Jahr verschoben.

"Dialogorientiertes Serviceverfahren", kurz DoSV, heißt das geplante System, das Bewerbungen an Hochschulen verwalten soll. Es geht dabei um einen Nachfolger des bisherigen Systems der ZVS, bei der sich bislang alle Abiturienten bewerben müssen, die etwa Medizin, Psychologie oder Pharmazie studieren wollen. Bei allen anderen Fächern hat jede Universität eigene Regeln. Gegenwärtig sind fast 50 Prozent der 11.000 Studiengänge zulassungsbeschränkt - mit abweichenden NC-Werten, Zulassungskriterien und Fristenregelungen. Das erschwert den Studenten das Leben, die jeder Hochschule eine eigene Bewerbung schicken müssen - vor allem aber bleiben so jedes Jahr viele Tausend Studienplätze unbesetzt. Denn die Universitäten führen keinen Abgleich durch. Wer nach 20 Bewerbungen einen Platz in Berlin, Bremen und Hamburg bekommt, kann nur einen davon antreten. Zum Wintersemester 2010/11 gab es so rund 17.000 unbesetzte Bachelor- und Masterstudienplätze.

"Wir können es uns im Interesse der jungen Menschen nicht leisten, dass auch in den nächsten Semestern wieder 20.000 und mehr Studienanfängerplätze aufgrund des Zulassungs-Chaos unbesetzt bleiben", moniert Ernst Dieter Rossmann, Bildungsexperte der SPD-Bundestagsfraktion. "Das bisherige Verfahren ist nicht nur eine handfeste Blamage für alle Beteiligten, sondern auch ein Desaster für die Studieninteressierten und die Hochschulen", sagte er dem Abendblatt. Laut Bildungsministerium entsprechen die frei gebliebenen Studienplätze jedoch lediglich einer Quote von fünf Prozent. Dies bedeute positiv gesagt, dass mit den bestehenden Zulassungsverfahren immerhin 95 Prozent der Plätze besetzt werden konnten, hieß es.

Auftraggeber für das neue Servicesystem ist die 2006 gegründete Stiftung für Hochschulzulassung (SfH). Ein erster Anlauf zur Umsetzung des neuen Verfahrens scheiterte bereits Ende 2008. Die Unis fürchteten um ihre Autonomie bei der Bewerberauswahl - eine Freiheit, die sie sich in den Vorjahren erst erstritten hatten. Anfang 2011 sollte das überarbeitete Konzept dann getestet werden. Doch im April gab die SfH bekannt, dass der Probelauf scheitern würde. Technisch erwies sich die Anbindung der Hochschulen an das DoSV als Schwachpunkt; die Schuld dafür gab man vor allem dem IT-Hersteller HIS GmbH, der 80 Prozent der Unis mit Software ausstattet. Probleme mit Support und Datenschutz gab es zudem.

Erst zum Ende des Jahres soll über einen neuen Zeitplan für die Tests des Systems entschieden werden, nach der Sommerpause wird sich der Bundestag damit befassen. Ein Sprecher des Bildungsministeriums sagte: "Das Verfahren muss so früh wie möglich funktionieren. Hier sind sich alle Akteure einig." Die SfH arbeite mit Hochdruck daran, dass ein Start zum Wintersemester 2012/13 klappt. Für das Scheitern der Reform bezahlen nun vor allem die Länder. Der Bund zieht sich nach Auslaufen der Anschubfinanzierung für das neue System aus dem Projekt zurück.

Der Präsident der Hamburger Uni, Dieter Lenzen, sieht sich mit "einem Abgrund an Versagen" konfrontiert. "Das Verfahren konnte wegen der Unfähigkeit der Verantwortlichen nicht realisiert werden, obgleich eine Fertigstellung der erforderlichen Softwaretechnik viel früher zugesagt worden war." Die Vernichtung von Millionenbeträgen des vom Bund zur Verfügung gestellten Geldes ohne ein verwendbares Resultat sei völlig indiskutabel. In der kommenden Woche will sich die Uni-Leitung dem AStA stellen, um über die Sorgen der Studenten bei der Vergabe von Studienplätzen zu diskutieren.