Wurde die Grenze überschritten, die das Grundgesetz der Politik setzt? Dieser Frage geht jetzt das Bundesverfassungsgericht nach. Schäuble verteidigt.

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob Deutschland mit seiner Beteiligung am Euro-Rettungsschirm und den milliardenschweren Griechenland-Hilfen Vorgaben des Grundgesetzes verletzt hat. Über „die Zukunft Europas und die richtige ökonomische Strategie“ zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise innerhalb der Europäischen Währungsunion werde in Karlsruhe nicht verhandelt, stellte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Dienstag bei der mündlichen Verhandlung klar. Dies sei Aufgabe der Politik. „Wir wollen hier keine ökonomische Debatte.“ Das Gericht müsse vielmehr „die Grenzen ausloten, die das Grundgesetz der Politik setzt“.

Der Zweite Senat prüft vor allem, ob das Haushaltsrecht des Bundestages wegen der gigantischen Garantiesummen für pleitebedrohte Euro-Länder ausgehöhlt wird. Mit einem Urteil wird innerhalb von drei Monaten gerechnet.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte die Finanzierungsmaßnahmen als „Beitrag zu globaler Stabilität“. Deutschland erfülle mit seinen Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität des Euro den Auftrag der Präambel des Grundgesetzes, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“, sagte Schäuble in Karlsruhe.

Der Euro sei „längst eine weltweit geschätzte Reservewährung und angesichts der Probleme und Spannungen in anderen Teilen der Welt von nicht zu unterschätzender Bedeutung“. Die Stabilität des Euro sei daher „von überragender Bedeutung“, unterstrich der Finanzminister. Es sei notwendig gewesen, „die Gefahr der Ansteckung anderer Länder der Eurozone durch die Schuldenkrise eines Landes“ zu verringern.

Das deutsche Gesetz zum Euro-Rettungsschirm sieht vor, dass Deutschland mit maximal 147,6 Milliarden Euro haften könnte – und zwar mit Bürgschaften für Notkredite des Euro-Krisenfonds EFSF. Nach dem Gesetz zum ersten Hilfspaket für Griechenland vom Mai 2010 übernimmt Deutschland überdies Bürgschaften für Kredite der bundeseigenen Förderbank KfW an Griechenland in Höhe von 22,4 Milliarden Euro. Die erste Tranche für 2010 belief sich bereits auf 8,4 Milliarden Euro.

Gegen die beiden Gesetze klagen der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler und eine Professorengruppe um den emeritierten Nürnberger Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, der sich der ehemalige Thyssen-Chef Dieter Spethmann angeschlossen hat.

Aus Sicht der Kläger entwickelt sich die europäische Währungsunion durch die Milliardenbeihilfe ohne ausreichende rechtliche Grundlage zu einer „Haftungs- und Transfergemeinschaft“. Der Artikel 125 des Lissabon-Vertrages lege ausdrücklich fest, dass ein Mitgliedsland nicht für Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedsstaates hafte oder eintrete. Durch die milliardenschweren Hilfsmaßnahmen werde zudem die Stabilität des Euro gefährdet.

Mehrere Richter des Zweiten Senats hinterfragten jedoch, ob die in Rede stehenden Rechtsakte von einzelnen Bürgern mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können – und damit die Klagen überhaupt zulässig sind. Auch die Frage, ob Karlsruhe die Sache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen müsste, kam auf.

Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, Siegfried Kauder (CDU), wies den Kläger-Vorwurf zurück, das Parlament habe die Griechenland-Hilfen im Mai 2010 ohne ausreichende Diskussion verabschiedet. „Ich räume ein, die Regierung machte Druck“, sagte Kauder in Karlsruhe. Aber „Erpressung“ habe es nicht gegeben„. Auch Schäuble sah keine Verletzung des Demokratieprinzips. Keine maßgebliche Regelung zur Stabilisierung der Eurozone werde ohne die Zustimmung des Parlaments beschlossen.

Der Prozessbevollmächtigte Gauweilers, der Freiburger Staatsrechtsprofessor Dietrich Murswiek, beklagte hingegen, Politik und Europäische Zentralbank hätten einen “eklatanten Verfassungsbruch verabredet„ und seien “auch noch stolz darauf„. Jeder wisse, “dass Griechenland pleite sei und alle Rettungskredite in einem Fass ohne Boden versinken„. Schachtschneider sagte, bei der Klage gehe es um den Schutz der Grundlagen des freiheitlichen Gemeinwesens. (dpad)