Bei der Zeugenvernehmung im Kundus-Ausschuss sehen Kanzlerin Merkel und Ex-Vizekanzler Steinmeier keine eigenen Versäumnisse.

Hamburg/Berlin. In den Wochen nach einem der schwärzesten Kapitel der Bundeswehr herrschte vor allem eines: Unsicherheit. Über das Handeln der militärischen Führung der Bundeswehr in Kundus, die Verantwortung des Verteidigungsministers und die Optionen der Kanzlerin für die künftige deutsche Afghanistanpolitik. Damals, am 4. September 2009, wurden bei einem Bombardement auf zwei entführte Tanklastzüge in Nord-Afghanistan bis zu 142 Menschen getötet. Angefordert hatte den Nato-Luftangriff nahe Kundus der deutsche Bundeswehr-Oberst Georg Klein.

Zuletzt kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, versucht ein Untersuchungsausschuss des Bundestages seit mehr als einem Jahr, die Ereignisse vom Herbst 2009 aufzuklären. Gestern mussten sich Kanzlerin Angela Merkel und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem Ausschuss bohrende Fragen zum Bombardement in Afghanistan anhören. Sie waren die letzten von 40 Zeugen, bevor nun der Abschlussbericht verfasst wird.

Eingeständnisse von Schuld blieben aus. Fehler und Versäumnisse sahen sowohl Merkel als auch Steinmeier nicht bei sich selbst. Die CDU-Vorsitzende und der Fraktionschef der SPD schmiedeten an diesem Nachmittag eine Große Koalition der Unschuldigen.

Minutenlang zitierte die Kanzlerin in ihrem Eingangsstatement aus der Regierungserklärung, die sie bereits wenige Tage nach dem Bombardement gehalten hatte und stellt am Ende fest: "Unverändert gilt alles, was ich am 8. September gesagt habe."

Alle Unterstellungen, die Bundesregierung sei nicht an einer umfassenden Aufklärung interessiert gewesen und sie habe wegen des Wahlkampfs 2009 sogar etwas vertuschen wollen, seien völlig aus der Luft gegriffen, sagte die CDU-Vorsitzende vor dem Ausschuss: "Das Gegenteil war der Fall." Kritik übte Merkel allerdings am damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Dieser hatte zunächst zivile Opfer ausgeschlossen. Merkel berichtete, sie habe ihn am 5. September gebeten, in einem Zeitungsinterview für den Folgetag "alle Informationen in dem Interview einzubeziehen". Dazu hätten Hinweise des damaligen Oberkommandierenden Stanley McChrystal auf zivile Opfer gezählt. Jung habe die vorliegenden Quellen anders gewertet.

Am Ende äußerte die Kanzlerin die Hoffnung, dass alle Untersuchungen dazu beitragen, "folgenreiche Ereignisse" wie das am 4. September "für die Zukunft zu verhüten".

Doch für die Öffentlichkeit ist der Erkenntniswert der bisherigen Ausschussarbeit eher gering. Ein Schuldiger für den tödlichen Luftangriff wurde bisher nicht benannt. Das war zwar auch nicht der Untersuchungsauftrag. Aber noch immer gibt es zu den genauen Umständen des Angriffs viele Spekulationen - vor allem über die Rolle der Bundeswehr-Sondereinheit "Task Force 47" und der an ihr maßgeblich beteiligten Elitetruppe KSK.

Wie die Kanzlerin verteidigte auch Steinmeier sein damaliges Vorgehen. Er sprach vor dem Ausschuss von einer "diffusen" und "widersprüchlichen" Informationslage nach dem Angriff. Anders als Jung sei Steinmeier selbst nach dem 4. September 2009 "in der Öffentlichkeit relativ zurückhaltend" gewesen. Er habe davon abgesehen, "öffentlich zu sagen, dass es keine zivilen Opfer gegeben hat", sagte der SPD-Politiker.

Steinmeier hätte sich eine schnellere Aufklärung der zivilen Seite gewünscht. Das Verteidigungsministerium habe offensichtlich erst die militärische Seite bedient, auch wenn seine Mitarbeiter in Kontakt mit dem Verteidigungsressort gestanden hätten, sagte er. Deshalb habe es später keine unterschiedlichen Informationslagen in beiden Ministerien, aber wohl "unterschiedliche Bewertungen der Lage" gegeben, kritisierte der SPD-Politiker.

Die Vorsitzende des Kundus-Ausschusses bewertete die Vernehmungen der letzten Zeugen positiv. "Sowohl Frank-Walter Steinmeier als auch Angela Merkel haben mit großer Ernsthaftigkeit über die politischen und strategischen Konsequenzen der Bombardierung am Kundusfluss gesprochen", sagte die SPD-Politikerin Susanne Kastner dem Hamburger Abendblatt. Die Befragung habe gezeigt, dass es nach der Bombardierung erhebliche Informationsdefizite vonseiten des Bundesverteidigungsministeriums gegeben habe. Wenn der Ausschuss etwas Gutes habe, dann hoffentlich, dass man aus den Informationspannen lerne, so Kastner.

Doch der eigentliche Kraftakt steht noch bevor. Bis zur Sommerpause soll der Abschlussbericht erstellt werden. Er wird auch eine politische Bewertung enthalten, die je nach politischem Lager anders ausfallen dürfte.