Der „Sachverständigenrat“ rechnet in Deutschland für 2010 mit einem Wachstum von 3,7 Prozent. Experten fordern Investitionen des Staates.

Berlin. Die fünf „Wirtschaftsweisen“ haben der Bundesregierung ihr Jahresgutachten zur konjunkturellen Entwicklung vorgelegt. Der „Sachverständigenrat“ rechnet für das laufende Jahr mit einem Wachstum von 3,7 Prozent und für 2011 mit 2,2 Prozent. Damit liegen die Experten über den Prognosen der Bundesregierung, die für 2010 von 3,4 Prozent und für 2011 von 1,8 Prozent Wachstum ausgeht. Die Zahl der Arbeitslosen wird nach der Prognose im kommenden Jahr im Durchschnitt unter die Drei-Millionen-Marke sinken. Nach dem überraschenden Konjunkturboom rechnen die Wirtschaftsforscher auch für die Folgejahre mit einem stabilen Wachstum. Sie warnen jedoch die Politik vor raschen Steuersenkungen und die Tarifparteien vor „überzogenen Lohnsteigerungen“.

Die sogenannten fünf Wirtschaftsweisen – offiziell der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) – sind unabhängige wissenschaftliche Politikberater. Das Gremium, 1963 per Gesetz eingerichtet, hat zum Ziel, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik zu erfassen und darzustellen. Ihre Gutachten sollen die Urteilsbildung von Politikern wie auch der Öffentlichkeit erleichtern.

Wegen der Schuldenkrise in der Euro-Zone muss Deutschland nach Ansicht des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger seine Rolle als Konjunkturlokomotive stärken. „Ich glaube, dass es richtig wäre, wenn wir in Deutschland positive Anstöße geben würden für den Euroraum“, sagte Bofinger. Die Regierungen in Südeuropa und in Irland stünden vor der extremen Herausforderung, „enorme Sparprogramme“ auflegen zu müssen. „Und da wäre es einfach sinnvoll, wenn Deutschland als größte Volkswirtschaft in der Euro-Zone einen Impuls geben würde.“ So könne der deutsche Staat zum Beispiel mehr in die Infrastruktur investieren.

Es gebe ohnehin Defizite bei den öffentlichen Investitionen. „Das, was neu investiert wird, ist weniger als die Abschreibungen. Die öffentliche Hand lebt von der Substanz“, sagte Bofinger. Es sei auch für künftige Generationen wichtig, dass die Infrastruktur verbessert werde, betonte der Wirtschaftsweise.

Zugleich wies der Würzburger Professor die Forderung seiner vier Kollegen im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurück, einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz einzuführen. Der derzeit gültige differenzierte Mehrwertsteuersatz sei sozial ausgewogen, sagte Bofinger, der bereits mehrfach in dem Sachverständigen-Gremium ein Minderheitsvotum abgegeben hat. So seien beispielsweise Nahrungsmittel begünstigt. „Und das unterstützt vor allem Familien mit niedrigeren Einkommen und Familien mit Kindern.“ Wenn dieses System aufgegeben werde, drohe eine „soziale Schieflage“. Falls der Mehrwertsteuersatz erhöht werde, treffe es zudem alle Bürger. „Man kann dann nicht mehr differenzieren. Ich glaube, man verliert dann auch die Flexibilität dieses Instruments“, sagte Bofinger.