Während Kanzlerin Merkel in Berlin den türkischen Premier Erdogan empfängt, spricht CSU-Chef Seehofer sich gegen weitere Zuwanderung aus.

Berlin. CSU-Chef Horst Seehofer hat während des Deutschland-Besuchs des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan die Integrationsdebatte verschärft. Seehofer sagte dem „Focus“ , er sei gegen Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen. Derweil beriet Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Erdogan über bessere Möglichkeiten zur Integration von Migranten. Seehofer sagte laut Vorabbericht von Sonnabend, die Integrationsfähigkeit von Zuwanderern hänge auch von ihrer Herkunft ab. „Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen.“

Der bayerische Ministerpräsident verwies darauf, dass ab Mai nächsten Jahres ohnehin die EU-Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Osteuropa gelte. „Ich habe kein Verständnis für die Forderung nach weitergehender Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen.“ Nun müsse sich die Politik mit den Menschen beschäftigen, die bereits in Deutschland leben. 80 bis 90 Prozent seien gut integriert. „Die Integrationsverweigerer müssen wir aber härter anpacken.“

Sein Landes-Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte in der „Welt am Sonntag“ schärfere Kontrollen an, ob Einbürgerungsmaßnahmen auch genutzt werden. Bayern bereite einen Modellversuch vor, um die Kontrollmöglichkeiten zu verbessern. „Es müssen Sozialhilfeleistungen gekürzt werden, wenn Sprach- oder Integrationskurse nicht besucht werden.“ Das sei geltendes Recht, werde aber „viel zu wenig von den Behörden umgesetzt“.

Erdogan lobte derweil nach einem Gespräch mit Merkel die Äußerungen von Bundespräsident Christian Wulff zur Rolle des Islam in Deutschland. Wulff habe mit seiner Aussage, der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland, „eine Realität zur Sprache gebracht. Ich erkenne das hoch an.“ Erdogan sagte zugleich, es sei „außerordentlich wichtig“, dass türkischstämmige Einwanderer der Lebensweise und der Gesellschaft Respekt zollten. „Ich bin selbstverständlich dafür, dass sich die Menschen hier in Deutschland integrieren – für ihr eigenes Glück.“

Merkel kündigte nach dem Gespräch eine kritische Bilanz zum Stand der Integration türkischer Einwanderer an. Der 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens für türkische Gastarbeiter im Oktober 2011 solle zum Anlass genommen werden, um den Blick auch auf „die unverkennbar bestehenden Probleme“ zu lenken. Bei der Lösung dieser Probleme wolle die Türkei Deutschland „zur Seite stehen“. „Das Thema Assimilation ist für uns kein Thema, es geht um Integration“, betonte Merkel. Dazu gehöre vor allem das Erlernen der deutschen Sprache.

Nach Einschätzung von Merkel ist die Integration von Einwanderern in Deutschland, insbesondere türkischstämmiger Migranten, bisher nicht ausreichend gelungen. Es sei problematisch, dass die Zahl von Schulabbrechern und jungen Menschen ohne Berufsabschluss unter Migranten doppelt so hoch sei wie unter deutschen Jugendlichen, sagte Merkel am Sonnabend beim 20. Mecklenburg-Vorpommern-Tag der Jungen Union in Marlow, bei dem die CDU-Bundesvorsitzende als Gastrednerin auftrat. Auch sei das Erlernen der deutschen Sprache in der dritten und vierten Einwanderungsgeneration nicht so vorangekommen wie gewünscht.

Merkel pflichtete dennoch Bundespräsident Wulff bei, der den Islam als zu Deutschland gehörend bezeichnet hatte. Sie sagte: „Der Islam ist Teil unseres Landes.“ Um einen offenen Dialog mit dem Islam führen zu können, müsse mit dem eigenen christlichen Menschenbild offensiver umgegangen werden. Viele Menschen würden sich heutzutage generell nicht mehr zu Religionen und deren Werten hingezogen fühlen.

Grünen-Chefin Claudia Roth griff Seehofer scharf an und warf ihm vor, „zum Brandstifter der deutschen Politik“ zu werden. „Mit seiner unsäglichen und skandalösen Unterscheidung von guten und schlechten Migranten je nach Kulturkreis trägt er den sarrazinschen Rassismus und Sozialdarwinismus in die bundesdeutsche Spitzenpolitik.“ Seehofer grenze in unverantwortlicher Weise aus, „wie es bislang in der bundesdeutschen Politik nicht möglich schien“. Roth forderte Seehofer auf, sich zu entschuldigen „und seine hetzerischen Worte zurückzunehmen“.