Am 20. Jahrestag der Einheit fordert Bundespräsident Christian Wulff von Muslimen größere Anstrengungen zur Integration

Bremen. Stolz auf das Erreichte, aber auch Aufrufe zur Einigkeit zwischen Ost und West, zwischen Deutschen und Zuwanderern: Der gestrige 20. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands stand auch im Zeichen der Integrationsdebatte. "Wir sind ein Volk! Dieser Ruf der Einheit muss heute eine Einladung sein an alle, die hier leben", sagte Bundespräsident Christian Wulff beim zentralen Festakt in Bremen. Es war die erste wichtige Rede des neuen Staatsoberhaupts. Nach der Kritik an Wulffs Amtsführung in den vergangenen Wochen galt die Ansprache schon als Präsidenten-Test.

Zehntausende feierten den Jahrestag bei Bürgerfesten. Viele Politiker, Kirchenleute und Prominente forderten bei Veranstaltungen in ganz Deutschland, das nach 20 Jahren Erreichte nicht kleinzureden, bei den Bemühungen um die Einigung Deutschlands aber auch nicht nachzulassen. US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Dmitri Medwedew gratulierten Deutschland zum Jahrestag der Einheit.

Wulff warb für einen "neuen Zusammenhalt" in der Gesellschaft - und mahnte auch Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren an. Breiten Raum in seiner Rede nahm die Integration von Zuwanderern ein. Wulff appellierte an sie, Deutschland als Heimat zu verstehen. Zugleich warnte er vor einer Ausgrenzung von Migranten. Dies nicht zuzulassen sei in nationalem Interesse, sagte er. Deutschland habe eine christlich-jüdische Geschichte. Aber auch der Islam gehöre heute zu Deutschland. "Natürlich bin ich auch der Präsident der Musliminnen und Muslime", sagte Wulff unter großem Applaus. Wer in Deutschland zu Hause sein wolle, müsse aber auch die Werte des Landes akzeptieren. Der Bundespräsident sprach sich auch für eine stärkere Anerkennung der Lebensleistung der Menschen aus der ehemaligen DDR aus. Die Ostdeutschen seien es gewesen, die den allergrößten Teil des Umbruchs geschultert hätten, betonte er.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete Wulffs Rede als Weichenstellung für die Zukunft. "Der Bundespräsident hat darauf hingewiesen, was es heute bedeutet, ein Volk zu sein", sagte Merkel. Er habe verdeutlicht, dass die deutsche Erfolgsgeschichte nun in einem vereinten Europa fortgesetzt werden müsse. "Das ist ein guter Auftrag für uns, die heute Politik machen." Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration lobte, dass Wulff die Probleme der Einwanderungsgesellschaft angesprochen, aber auch deutlich gemacht habe, dass die Integration in Deutschland besser sei als ihr Ruf. Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, äußerte sich zurückhaltender. "Ecken und Kanten waren nicht drin. Er ist einer, der ruhige, klare Worte spricht. Es war okay."

Joachim Gauck, Wulffs Konkurrent bei der Bundespräsidentenwahl, erinnerte in Berlin an die Rolle der DDR-Bürger beim friedlichen Umsturz im Herbst 1989. Mit den damaligen Ereignissen habe sich gezeigt, "Deutsche können Freiheit", sagte er.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dankte gestern Abend vor dem Berliner Reichstagsgebäude Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) für seinen Einsatz für die Wiedervereinigung. Mit niemandem verbinde sich die deutsche Einheit so sehr wie mit Helmut Kohl, sagte Lammert. Sichtlich gerührt und mit Tränen in den Augen nahm der auf den Rollstuhl angewiesene 80-jährige Altkanzler den Applaus Tausender Bürger entgegen.