Die perfekte Gesellschaft wird ein unerreichbares Ziel bleiben.

Den Deutschen wird der Hang zum Perfekten nachgesagt. Deutsche Produkte sind in der Welt deshalb so begehrt, weil ihre Erfinder und Hersteller nicht eher ruhen, bis die bestmögliche Lösung gefunden ist. Diese Neigung zum Vollendeten wird allerdings auch ins Politische übertragen.

Und so mag mancher nicht aufhören zu klagen, dass die Einheit der Nation auch nach 20 Jahren noch nicht vollendet sei. Dem ist hinzuzufügen, dass das vermutlich nie der Fall sein wird. Darauf deuten nicht zuletzt die Schwerpunkte hin, die sowohl Bundespräsident Christian Wulff als auch Joachim Gauck in ihren Reden zum Tag der Einheit setzten: Beide widmeten wesentliche Teile ihrer Ansprachen der Integration von Einwanderern, vornehmlich denen aus dem moslemischen Kulturkreis. Diese Frage verdrängt jenseits von Feiertagen in der öffentlichen Wahrnehmung längst die Ost-West-Problematik.

Einheit beschränkt sich zudem nicht auf geografische oder historische Gegebenheiten. Sie umfasst auch kulturelle und soziale Fragen. Und die sind ständig im Wandel. Die Ost-West-Frage war vielleicht das große Thema der 90er-Jahre, hinzugekommen sind durch die Globalisierung hervorgerufene tiefgreifende Umbrüche im Sozialstaat. Es wird immer Anstrengungen geben müssen, eine Binnenintegration zu erreichen, damit soziale Spannungen den Frieden der Gesellschaft nicht gefährden. Dieser Prozess ist mühsam und endlos. Es wird immer Unzufriedene geben, die Unzulänglichkeiten in Politik und Gesellschaft beklagen. Aber aus dieser Unzufriedenheit erwächst auch die Kraft, Probleme anzugehen und die Vollendung zumindest anzustreben.

Nicht zuletzt an dem Versuch, Unterschiede einzuebnen und Differenzen unter einer ideologischen Decke zu verbergen, ist die DDR kläglich gescheitert. Auf Dauer tragfähig ist nur ein kultureller und sozialer Föderalismus - die Einheit in der Vielfalt.

Dank auch der Reden von Wulff und Gauck war der 20. Jahrestag der Wiedervereinigung deutlich mehr als eine feierliche Rückbesinnung auf Erreichtes und Hoffen auf noch Besseres. Er war eine treffende Problembeschreibung für die Volksvertreter - und die Bürger. Denn für die Umsetzung können nicht Festredner verantwortlich sein, sondern nur wir alle. "Wir sind das Volk" ist nicht der Soundtrack zum Untergang des SED-Staates, sondern eine Handlungsanweisung für Demokratie.