Der Gewerkschaftsbund will die von Rösler angestrebte “Kopfpauschale“ ins Zentrum seiner Herbst-Aktionen stellen.

Hamburg. Nicht nur die Atompolitik, auch die Gesundheitsreform könnte der Bundesregierung einen "heißen Herbst" bescheren. Die Gewerkschaften wollen die Gesundheitspolitik der Koalition zum zentralen Thema ihrer Herbst-Aktionen machen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält die geplanten Zusatzbeiträge, die die Arbeitnehmer zukünftig mit bis zu zwei Prozent ihres Einkommens entrichten sollen, für den "Einstieg in die Kopfpauschale und den Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung", wie DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach im Abendblatt sagte.

"Schon heute müssen die 70 Millionen Versicherten jährliche Mehrbelastungen von mehr als 15 Milliarden Euro tragen", rechnete Buntenbach vor. "Wir wollen diese Schieflage korrigieren und fordern als ersten Schritt die vollen paritätischen Beiträge der Arbeitgeber."

Davon wollen die Arbeitgeber nichts wissen. Sie halten die Anhebung der Zusatzbeiträge von ein auf zwei Prozent des Einkommens der Arbeitnehmer für das einzig fortschrittliche Signal der Gesundheitsreform. "Positiv" sei die Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge, sagte Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt dem Abendblatt. "Es ist zumindest ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, die Gesundheitskosten vom Arbeitseinkommen abzukoppeln", sagte Hundt weiter.

Fest steht: Die Gesundheit wird teurer im nächsten Jahr - sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer. Der Beitragssatz für Arbeitnehmer und Rentner wird um 0,3 Prozentpunkte angehoben: Er steigt am 1. Januar 2011 von 7,9 auf dann 8,2 Prozent und soll auf diesem Niveau festgeschrieben werden. Auch die Arbeitgeber müssen mehr für die Versicherung ihrer Mitarbeiter bezahlen: Ihr Beitragssatz wird von jetzt 7,0 auf 7,3 angehoben und soll auch festgeschrieben werden. Das bedeutet Mehrkosten für die Beitragszahler von gut sechs Milliarden Euro.

Die Reform von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), die bis zum Jahresende vom Bundestag beschlossen werden soll, trägt den Titel "Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FinG)". Es besteht neben den Beitragserhöhungen auch aus Sparmaßnahmen. So sollen die Verwaltungskosten der Krankenkassen für zwei Jahre eingefroren und der Anstieg der Klinikkosten und der Ärztehonorare gedeckelt werden. Auch die Vergütungen der Zahnärzte dürfen nur halb so schnell steigen wie die Beitragseinnahmen.

Seit Monaten gilt die Prognose, dass ohne ein neues Gesetz im nächsten Jahr bis zu elf Milliarden Euro fehlen würden. Wie viel Geld genau gebraucht wird, soll Ende September offiziell geschätzt werden. Anders als ursprünglich geplant wird der Bund zwei Milliarden Euro mehr Zuschuss geben, nämlich 15,3 Milliarden Euro und damit fast ebenso viel wie in diesem Jahr. Eigentlich hätten die in der Krise aufgestockten Steuermittel zurückgefahren werden sollen.

Innerhalb der Koalition galt der Streit um die Gesundheitsreform in den vergangenen Wochen als beendet. Aber jetzt, kurz vor der Abstimmung im Kabinett, wird offensichtlich, dass die Reform in der CSU noch nicht vollständig abgesegnet ist. Noch bevor der Bundestagsabgeordnete Max Straubinger seinen Widerstand gegen die "Pauschale" für Arbeitnehmer angekündigt hatte, hatte auch Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) Änderungen an den Regeln zum Zusatzbeitrag und dem geplanten Sozialausgleich verlangt: "Wir glauben, dass das den Praxistest nicht bestehen wird", sagte Söder.

Auch der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, meldete gestern in einem Punkt der Reform seine Bedenken an. Er sorgt sich um die organisatorischen Belastungen der Arbeitgeber im Zuge der Reform: Es dürfe nicht sein, dass den Unternehmen zu viel Bürokratie aufgebürdet werde, sagte er dem Abendblatt. "Die Arbeitgeber sollten bei der Abwicklung des geplanten Sozialausgleichs nicht überfordert werden." Gleichzeitig verteidigte er die Grundzüge der Reform: "Wenn wir nicht handeln, müssen wir 2011 mit einem Defizit zwischen zehn und 13 Milliarden Euro im Gesundheitswesen rechnen." Die Reform sei unausweichlich, und sie belaste viele Schultern gleichermaßen. Friedrich betonte: "Wir müssen den Versicherten reinen Wein einschenken und deutlich sagen: Wenn wir die Gesundheit weiter finanzieren wollen, wird sie in Zukunft weitere Kostensteigerungen mit sich bringen."