Arbeitsrichter sehen kaum Chancen für eine Entlassung des Vorstandsmitglieds

Frankfurt/Berlin. Der Bundesbank-Vorstand will heute sein Mitglied Thilo Sarrazin zur Rede stellen. Das Gespräch über dessen umstrittene Äußerungen zu Migranten wird dem Vernehmen nach im Umfeld einer Routinesitzung in Frankfurt am Main stattfinden. Welche Konsequenzen das Gremium aus dem Gespräch zieht, gilt als offen. Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Notenbank ist die Abberufung eines Vorstands nur unter extremen Schwierigkeiten möglich.

Nach Einschätzung des Bundesverbands der Arbeitsrichter kann Sarrazin seinen Job nicht verlieren. "Die Aussagen Sarrazins, mögen sie als noch so abstrus empfunden werden, reichen kaum aus, um ihn deshalb zu entlassen", sagte Vorsitzender Joachim Vetter der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Allein mit einem Verstoß gegen den Verhaltenskodex lasse sich ein Rauswurf juristisch nicht begründen. "Voraussetzung dafür wäre eine gravierende dienstliche Verfehlung", sagte Vetter weiter.

Die Bundesbank hatte Sarrazin bereits nach ersten kontroversen Äußerungen gerügt und ihm im Oktober 2009 die Zuständigkeit für das Bargeld entzogen. Er blieb aber Vorstand für Informationstechnik und Risiko-Controlling. Im Mai 2010 bekam er allerdings die Revision hinzu.

Am Montag hatten die anderen Vorstandsmitglieder erklärt, "dass die Äußerungen von Dr. Sarrazin dem Ansehen der Bundesbank Schaden zufügen". Eine Entlassung müsste theoretisch vom Bundesbank-Vorstand beschlossen, dann vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden und obendrein auch den Segen der Bundesregierung finden. "Der Bundespräsident kann sich nicht äußern zu Vorgängen, die er im Rahmen seiner Amtsgeschäfte eventuell noch juristisch prüfen muss", teilte ein Sprecher von Bundespräsident Wulff mit.

Sarrazins früherer Chef, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, unterstützte das SPD-Parteiverfahren gegen Sarrazin. "Ich bedauere dies, dass wir dazu gezwungen werden", sagte er im Bayerischen Rundfunk. "Die Thesen von Thilo Sarrazin sind mit der sozialdemokratischen Grundidee, nämlich der sozialen Gerechtigkeit, nicht vereinbar." Sarrazin war von Januar 2002 bis April 2009 Berliner Finanzsenator unter Wowereit.

Vorbehalte gegen Ausländer sind jenseits von Sarrazins Thesen in der deutschen Bevölkerung verbreitet. In Deutschland lebende Ausländer sollen sich nach Meinung eines Großteils der Bundesbürger stärker anpassen. Bei dem in Berlin vorgelegten "Sozialreport 2010" der Volkssolidarität stimmten 35 Prozent der Befragten voll der Aussage zu, dass in Deutschland zu viele Ausländer lebten und deren Zahl reduziert werden müsse. Weitere 36 Prozent stimmten der Aussage, es gebe zu viele Ausländer, "teilweise" zu. Dabei lag der Wert in den neuen Bundesländern (37 und 38 Prozent) drei Prozentpunkte über dem in Westdeutschland. Rund 73 Prozent meinten, dass sich Ausländer den hiesigen Gegebenheiten "mehr anpassen" sollten.