Nach Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zahlt der Bund noch immer Entschädigungsleistungen für Strahlenbelastung in Deutschland.

Hamburg. Mehr als 24 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl kommt die Bundesregierung noch immer für die verursachten Umweltschäden auf. Insgesamt belaufen sich die Entschädigungsleistungen des Bundes für die entstandenen Strahlenbelastungen in Deutschland seit dem Reaktorunfall auf etwa 238 Millionen Euro. Das geht aus einer dem Abendblatt vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Grünen-Bundestagsabgeordneten hervor.

Wie das Umweltministerium dem Abendblatt mitteilte, zahlte der Bund allein im vergangenen Jahr an Jäger und Jagdrechteinhaber 424.650 Euro als Entschädigung für übermäßig strahlenbelastetes Wildbret von Wildschweinen. 2008 lagen diese Zahlungen noch bei 380.000 Euro, 2007 noch bei 104 000 Euro. Im ersten Halbjahr 2010 zahlte der Bund bereits 130.000 Euro an Entschädigungsleistungen für kontaminiertes Wildschweinfleisch. Zum Vergleich: 1998 lagen die Zahlungen bei gerade 10.000 DM. Die Anzahl der untersuchten und die Anzahl der aus den Ländern gemeldeten Wildproben, deren radioaktiver Cäsiumgehalt über dem erlaubten Höchstwert liegen, sind in den vergangenen Jahren stetig angestiegen, meldet das Umweltministerium. In Deutschland ist es nicht erlaubt, Lebensmittel mit einem Radiocäsiumgehalt von mehr als 600 Becquerel pro Kilogramm in den Handel zu bringen.

Die Belastung ist vor allem noch in Süddeutschland stark, so das Ministerium. Demnach werden in wild wachsenden Pilzen und in Wildbret auch mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Reaktorunfall immer noch weitaus höhere Aktivitäten als in landwirtschaftlichen Produkten gemessen.

Da Pilze ein Bestandteil der Nahrung von Wild sind, habe diese Entwicklung auch Einfluss auf die Belastung von Wildbret, so das Umweltministerium. Da die von Wildschweinen gefressenen, unterirdisch wachsenden Hirschtrüffeln außergewöhnlich hoch belastet seien, sei Wildschweinfleisch deutlich höher kontaminiert als das Fleisch anderer Wildtierarten. Aus der Antwort der Bundesregierung an die Grünen-Anfrage geht zudem hervor, dass im Falle eines Reaktorunglücks in Deutschland der Kernkraftwerkbetreiber "summenmäßig unbegrenzt" für sämtliche Schäden haften würde. Diese Haftung geht sogar so weit, dass der Kernkraftwerkbetreiber für die Kosten für Entlassungen und Kurzarbeit aufkommen muss, wenn "ein Ursachenzusammenhang zwischen nuklearem Ereignis und der Entlassung oder der Kurzarbeit des Angestellten besteht".

Die Grünen kritisieren die Vorsorge der Regierung im Falle eines Reaktorunfalls als unzureichend. Die atompolitische Sprecherin der Fraktion, Sylvia Kotting-Uhl, sagte dem Abendblatt: "Dass die Haftung der Betreiber unbegrenzt gelte, wie die Bundesregierung antwortet, ist eher theoretischer Natur. Letztlich sind - wie auch nach Tschernobyl - die Kosten wie auch die Schäden in der Hauptsache von der Gesellschaft zu tragen."

Der Antwort auf die Anfrage zufolge rechnet die Regierung auch "je nach Ausmaß des nuklearen Ereignisses" mit einer "temporären Erhöhung der Staatsverschuldung".