Vater Straßenbahnfahrer, Mutter Verkäuferin. Hannelore Kraft ist am Ziel ihrer poitischen Karriere – vorerst. Der Gegenwind weht bereits.

Düsseldorf. Es war ein langer Anlauf – mit Umleitungen und Irrwegen . Aber nun ist Hannelore Kraft (49) am Ziel. Die SPD-Landesvorsitzende ist Nordrhein-Westfalens erste Ministerpräsidentin. Sie löst Jürgen Rüttgers (CDU) nach fünfjähriger Amtszeit ab. Und sie steht in der Tradition großer Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr: Johannes Rau, Wolfgang Clement, Per Steinbrück. Doch leicht wird es für sie nicht. Im Landtag hat sie keine Mehrheit. Dafür verliert die in Berlin regierende schwarz-gelbe Koalition die Mehrheit im Bundesrat.

Kraft wurde im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt . Für sie stimmten 90 Abgeordnete. Damit erhielt sie offensichtlich alle Stimmen von Rot-Grün. Mit Nein stimmten 80 Abgeordnete, so viele Sitze haben CDU und FDP. Der Stimme enthielten sich elf Abgeordnete. Das waren vermutlich die Abgeordneten der Linken.

Kraft rief unmittelbar nach ihrer Wahl alle Fraktionen im Landtag zur Zusammenarbeit auf. Das Wohl des Landes dürfe nicht hinter parteipolitischen Interessen zurücktreten. Die unsicheren Mehrheitsverhältnisse böten auch die Chance, „gute Kompromisse zu suchen und zu finden“, sagte Kraft.

Sie wurde unmittelbar nach ihrer Wahl vereidigt. Ihr Kabinett will Kraft am Donnerstag vorstellen. Der rot-grünen Regierung sollen zehn Minister angehören, davon sieben der SPD und drei der Grünen. Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann soll Schulministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin werden.

Durch den Verlust der schwarz-gelben Bundesratsmehrheit wird das Regieren für Kanzlerin Angela Merkel schwerer, weil sie sich bei zustimmungspflichtigen Gesetzen nicht mehr auf das schwarz-gelbe Länderlager verlassen kann. Merkel hatte der SPD Wählertäuschung vorgeworfen. Kraft habe eine zentrale Wahlaussage gebrochen, sagte sie der „Rheinischen Post“. „Sie hat im Wahlkampf immer wieder betont, dass ein Land wie NRW eine stabile Regierung braucht. Jetzt will sie ihre Arbeit mit einem massiven Wortbruch beginnen. Einer solchen Regierung kann man nicht trauen“, sagte die CDU-Vorsitzende.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) warnte vor wirtschaftspolitischen Folgen für Nordrhein-Westfalen. Die Wahl von Kraft sei nur mit Hilfe der Linken möglich gewesen, als Vorstufe zur rot-rot-grünen Zusammenarbeit, sagte Brüderle der „B.Z.“. Die Minderheitsregierung sei fatal für die wirtschaftliche Entwicklung von Nordrhein-Westfalen. Aus Sicht der Generalsekretäre von CDU, CSU und FDP peilt SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel eine rot-rot-grüne Regierung im Bund an.

In die erste Reihe bei den NRW-Sozialdemokraten war Kraft nach der verlorenen Landtagswahl im Jahr 2005 gerückt. Zunächst übernahm sie die Führung der Landtagsfraktion, 2007 wurde sie auch Vorsitzende des mitgliederstärksten SPD-Landesverbands. In beiden Ämtern war sie die erste Frau. Seit dem vergangenen November ist sie auch stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD.

„Frauen machen anders Politik – nicht besser oder schlechter.“ So hat Kraft ihr Selbstverständnis umschrieben. Mit dieser anderen Art der Politik ist sie nun Ministerpräsidentin geworden. Anders als bei vielen Männern war zumindest Krafts Weg nach oben in der Politik. Die Mülheimerin schloss sich nicht irgendwelchen Seilschaften an und musste nicht auf die Ochsentour durch Ortsverein und Arbeitskreise. „Mit Hinterzimmer-Politik hatte ich nie viel am Hut“, bekennt sie nicht ohne Stolz. Dennoch machte sie schnell Karriere. Wenn in der nordrhein-westfälischen SPD in den vergangenen Jahren wichtige Posten zu besetzen waren, gab es keine Alternative zu Kraft.

Ihre Nervenstärke bekam in den vergangenen Wochen ihr Vorgänger Rüttgers zu spüren. Seine Überzeugung, der SPD-Chefin bleibe angesichts des Patts im Landtag gar nichts anderes übrig, als in eine Große Koalition unter seiner Führung einzuwilligen, erwies sich als grobe Fehleinschätzung. Kraft manövrierte Rüttgers Schritt um Schritt aus. Die SPD folgte ihr in diesem Hin und Her zwischen Großer Koalition, Opposition und Minderheitsregierung klaglos. „Ich bin stolz wie Bolle auf diese Partei“, lobte Kraft die Disziplin der Genossen.

Ihr Eintritt in die SPD 1994 war eine Reaktion auf die Niederlage der Sozialdemokraten bei der Kommunalwahl in ihrer Heimatstadt Mülheim/Ruhr. Nach nur wenigen Monaten in der Partei rückte sie schon in den Unterbezirksvorstand auf. Den Sprung in den Landtag schaffte sie 2000. Ein Jahr später war sie bereits Europaministerin. Später übernahm sie das Wissenschaftsressort. Richtig los ging ihre Karriere aber erst nach dem Machtverlust der Sozialdemokraten bei der Landtagswahl 2005. Die verstörten Genossen machten die Diplom-Ökonomin erst zur Fraktions- und dann zur Landesvorsitzenden. Als SPD-Landeschefin scheute sich Kraft auch nicht, sich mit Parteigrößen wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück anzulegen. Dabei wurde es auch manchmal laut. Nach einer weiteren schweren SPD-Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 ging der Aufstieg Krafts weiter – zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden.

Kraft stammt aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater war Straßenbahnfahrer, die Mutter Verkäuferin. Wenn sie am Rednerpult des Landtags lauter wird, ist deutlich zu hören, dass sie aus dem Ruhrgebiet stammt. Bevor Kraft in die Politik ging, arbeitete sie als Unternehmensberaterin. Mit Ehemann Udo und Sohn Jan wohnt sie in Mülheim. Ihr Mann hielt den bislang wichtigsten Tag in ihrer politischen Karriere auf Video fest.