Sexismus-Streit, Maulkorb für Berliner Fraktion - beim Parteitag Ende April in Neumünster steht die Rolle der Parteiführung zur Debatte.

Berlin. Es hätte ein Abend zum Anstoßen sein können. Spät am Montag machten zwischen Piraten die neuen Umfragewerte einer Forsa-Umfrage die Runde im Internet. 13 Prozent für die Politikneulinge. Ein neuer Rekordwert im Bund. Und erstmals überflügelten die Piraten die Grünen. Doch die Piraten feierten nicht. Vielmehr fragten sie sich beim Internet-Kurznachrichtendienst Twitter, warum man sich in der vergangenen Woche zerstritten hatte. Und das auch noch öffentlich. Nun überlagert ein Grundsatzstreit die positiven Schlagzeilen und gefährdet die Wahlkämpfe in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Die Frage lautet: Wie professionell wollen die Piraten auf ihrem Weg in die Parlamente werden? Und ganz explizit steht die Rolle der Parteiführung zur Debatte.

Auftakt war in der vergangenen Woche ein offener Brief des Berliner Fraktionschefs Andreas Baum, gerichtet an den Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz. Darin beklagt sich der Berliner darüber, dass der Bundeschef ihm auferlegt hatte, verbale Angriffe aus Reihen der Fraktion in Richtung des Bundesvorstandes zu unterlassen. Harsch waren die Worte Nerz': "Das hat ein Ende, und zwar sofort. Es ist mir egal, wie." Für eine basisdemokratische Partei ein Machtwort ohne Legitimation. Dafür gab's von der Basis viele böse Worte.

Am Karfreitag schließlich veröffentlichte die Jugendorganisation der Piraten im Netz einen Brandbrief, in dem die Jungen Piraten Diskriminierung innerhalb der Partei anklagen, etwa gegenüber Frauen oder Ausländern. Das ist nicht neu. Und die Partei setzt sich damit etwa in Arbeitsgruppen bereits auseinander. Für Empörung sorgte schließlich am Montag der stellvertretende Pressesprecher der Bundespartei, Aleks Lessmann. Auf der Partei-Website schrieb er, dass es nun mal in jeder Partei zehn Prozent "Idioten" gebe. Und dass die Piraten im Gegensatz zu etablierten Parteien "nun einmal jedem Basismitglied ein gleichberechtigtes Forum" geben würden. Das war zu viel der Relativierung.

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Das Gezeter im Netz hat dabei gezeigt, dass viele Piraten mit der Arbeit des Bundesvorstandes unzufrieden sind. Dabei geht es nur zum Teil darum, wer sich mag, wer nicht miteinander klarkommt. Solche persönlichen Streitereien gibt es in allen Parteien. Und die Piraten tragen solche wohl nur ein bisschen öffentlicher aus, eben per digitale Dauerbeschallung. Die Diskussion zeigte jedoch viel Grundlegenderes: dass die Piraten nämlich keine Ahnung davon haben, was die Parteiführung darf.

Die Satzung der Piratenpartei ist eigentlich eindeutig. Dort steht: "Der Bundesvorstand vertritt die Piratenpartei Deutschland nach innen und außen. Er führt die Geschäfte auf Grundlage der Beschlüsse der Parteiorgane." Das ist so etwas wie die Minimalforderung, wie sie das Parteiengesetz regelt. Die 2006 gegründeten Piraten wollen so basisdemokratisch wie möglich sein, auf Themen und nicht auf Köpfe setzen. Der Bundesvorstand soll reiner Verwalter sein. Und seine Aufgabe ehrenamtlich erfüllen. Das klappte gut, solange die Partei fernab der Parlamente war.

Nun allerdings sind die Newcomer gefragt. Piraten sitzen in der Bundespressekonferenz, gehen in Talkshows, geben lange Interviews - und werden gefragt: Wie soll der Euro gerettet werden? Braucht Schlecker eine Auffanggesellschaft? Es gibt viele Dinge, auf die die Piraten bei Parteifragen noch keine Antworten gefunden haben. Vor allem auf plötzlich auftauchende wie im Fall Schlecker nicht. Die laut Satzung richtige Antwort eines Piraten-Vorstands lautet: "Dazu haben wir noch keine Meinung." Der Partei wird dafür Konzeptlosigkeit vorgeworfen. Und wenn jemand wie Nerz dann doch mal seine persönliche Meinung äußert, übernehmen die Medien dies oft als Piraten-Meinung - und der Bundesvorstand kassiert von der Basis Keile.

Die Piraten wissen, dass sie möglichst bald viele Fragen beantworten müssen: Will die Partei professionell werden? Darf der Vorstand etwas sagen? Und wenn ja, wie? Sollte es eine Vergütung für ein Parteiamt geben? Im Grunde: Will man professionelle Politik mit den Strukturen eines Kindergartens machen?

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Nerz hält sich an das, was andere als Maulkorb bezeichnen: "Ich habe zu vielem eine Meinung, werde sie medial aber nicht äußern, weil der Bundesvorstand der Piraten derzeit die Meinung der Partei kommunizieren soll", sagte er der "Welt". Der Bundesvorsitzende hofft jedoch auf einen Kursschwenk: "Die Partei muss sich eine Meinung darüber bilden, wie der Bundesvorstand arbeiten soll." Die Diskussion innerhalb der Partei "muss zu Handlungsempfehlungen für den Bundesvorstand führen". Nerz möchte Ende April auf dem Bundesparteitag in Neumünster erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt werden. Neben ihm gibt es bisher zwei aussichtsreiche Kandidaten: die Berliner Piratin Julia Schramm sowie Bernd Schlömer, derzeit Vizechef und von Beruf Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium.

Eine andere Frage wird in Neumünster hingegen wohl nicht aufgeworfen: die, ob Führungsämter in der Partei auch zukünftig ehrenamtlich ausgeübt werden sollen. NRW-Spitzenkandidat Joachim Paul hatte am Wochenende ein Umschwenken verlangt. Fürs Erste kassierte Nerz den Vorschlag ein: "Derzeit haben wir für eine Bezahlung des Bundesvorstandes schlichtweg nicht das Geld." Die Entlohnungsfrage ist somit vertagt.

Pikant wird damit jedoch nunmehr die Frage, ob die Piraten das ehrenamtliche Parteiamt und bezahlte Mandate voneinander trennen sollen. Die Basis muss entscheiden, ob sie bereit ist, für den weiteren politischen Aufstieg Macht aus den Händen zu geben.