Welche Politiker haben ein gutes, welche ein schlechtes Jahr vor sich? Das Abendblatt wagt einen Ausblick.

Die einen zerbrechen an den großen Erwartungen, die anderen haben Erfolg, weil niemand Großes von ihnen erwartet. Die Politikredaktion des Hamburger Abendblatts wagt einen Ausblick auf 2010 - und sagt voraus, welche Politiker groß herauskommen und welche sich als Flop entpuppen. Das Ergebnis mag manchen überraschen.

DIE TOPS

Sigmar Gabriel: Seine SPD greift wieder an

Als nach der Bundestagswahl klar war, dass Sigmar Gabriel die Führung der taumelnden SPD übernehmen sollte, regierte die Skepsis. Doch inzwischen raunt man sich auch auf den Fluren der Union zu, dass der Niedersachse, der im Laufe seiner Karriere Ministerpräsident, Popbeauftragter der SPD und Umweltminister war, auch seinen neuen Job im Griff hat. Und der heißt: Hoffnungsträger. Seit er die Regentschaft im Willy-Brandt-Haus übernommen hat, wirkt die SPD frischer und angriffslustiger. Vorlagen liefert Schwarz-Gelb dem begnadeten Zuspitzer zuhauf, da kann er sich nicht beschweren. Und wenn die Kanzlerin 2010 mit den Ministerpräsidenten um die große Einkommenssteuerreform ringt, dürfte er endgültig zu großer Form auflaufen.

Günther Oettinger: Neue Chance in Brüssel

Die Zweifel sind erheblich, ob er wirklich alles kann außer Hochdeutsch. Günther Oettinger wurde von der Kanzlerin auch deswegen als EU-Kommissar nominiert, weil sie eine weitere Erosion der CDU im Südwesten verhindern wollte. Die Deutung, der baden-württembergische Ministerpräsident sei abgeschoben worden, setzte sich in Brüssel rasch durch. Die miserablen Startbedingungen sind zugleich Oettingers Chance. Die Initiativen des EU-Neulings können zum Überraschungserfolg werden. Das Energieressort entspricht seiner Neigung; seine Kompetenz in Wirtschaftsfragen zweifelt niemand an. Und er ist ehrgeizig genug, jeden Spielraum zu nutzen. Und die Sprache? In Brüssel setzt sich Englisch mit osteuropäischer Färbung durch. Schwäbische Nasallaute stören da kaum.

Jürgen Rüttgers: "Arbeiterführer" auf Erfolgskurs

Auch wenn nicht klar ist, ob es am Ende wieder für ein Bündnis mit den Liberalen in Nordrhein-Westfalen reicht: Jürgen Rüttgers wird allen Umfragen zufolge Ministerpräsident des größten deutschen Bundeslandes bleiben. Der CDU-Mann befindet sich in einer bequemen Situation, kann er nach der Landtagswahl im Mai doch zur Not die Grünen mit ins Boot holen. Rüttgers hat zielstrebig darauf hingearbeitet. Derart überzeugend hat er sich zum sozialen Gewissen und zu, Arbeiterführer seiner Partei stilisiert, dass die in Nordrhein-Westfalen eigentlich gar nicht so bürgerlichen Grünen bereit scheinen zur Zusammenarbeit. Rüttgers kann in beiden Fällen nur gewinnen: Verteidigt er Schwarz-Gelb, ist er endgültig der wichtigste Unions-Regierungschef in den Ländern. Startet er Schwarz-Grün oder Schwarz-Gelb-Grün, gehört er mit zur Avantgarde.

Robert Habeck: Der grüne Modernisierer

Dieser Mann hat keine Angst. Auch nicht davor, sich seiner eigenen Partei zu verweigern. Robert Habeck , Senkrechtstarter aus Schleswig-Holstein, hätte schon Nachfolger von Reinhard Bütikofer an der Grünen-Spitze werden können. Habeck wollte zunächst bei seiner Familie bleiben. Jetzt ist er Fraktionschef in Kiel - nachdem er das beste Wahlergebnis der Nord-Grünen aller Zeiten geholt hat. Der 40-Jährige weiß: Seine Zeit wird kommen, auch weil er angriffslustiger ist als die mitunter träge und zögerliche Partei-Elite in Berlin. Habeck, Doktor der Philosophie, würde mit allen Parteien koalieren und hasst Denkverbote. Fundis und Realos gibt es für ihn nicht mehr, die Doppelspitze der Grünen findet er überflüssig. Mit dieser Position findet er immer mehr Zuspruch. Die Habeckisierung der Partei hat begonnen.

Karl-Theodor zu Guttenberg: Der Popstar der deutschen Politik

Der Mann ist, unzweifelhaft, der Popstar der deutschen Politik. In einem Jahr von quasi null zur Nummer 1 der Beliebtheitsskala. So etwas geht sonst nur bei Dieter Bohlen - oder bei Horst Seehofer, der Karl-Theodor zu Guttenberg als frisches Gesicht für seine Partei entdeckte. Ins Bewusstsein der nach "KT" dauerverrückten Bundesbürger hatte sich der Baron aus Franken mit einer Aufwallung von Mut katapultiert: Als die Banken-Verstaatlicher der Großen Koalition auch Opel retten wollten, nahm er das Wort von der geordneten Insolvenz in den Mund. Seitdem halten ihn die Bürger für aufrecht. Er darf von kriegsähnlichen Zuständen in Afghanistan reden. Die Menschen applaudieren ihm sogar, wenn er öffentlich Bier trinkt oder beteuert, dass er sich nicht verbiegen lasse. Was auch keiner wollte. So einem kann auch ein Untersuchungsausschuss wenig anhaben.

DIE FLOPS

Ursula von der Leyen: Horrorbotschaften statt Glamour

Als Familienministerin mit Ambitionen hat Ursula von der Leyen (CDU) viel getan, viel gewagt, viel bewegt. Das Image der "Super-Nanny" hat sie erfolgreich weggelächelt und sich bei "Wetten, dass .." vom "Sexiest Man Alive", Hugh Jackman, auf Händen tragen lassen. Das ersehnte Gesundheitsressort wurde ihr jedoch nach der Bundestagswahl verwehrt. Nach dem Rücktritt des glücklosen Franz Josef Jung betreut Arbeitsministerin von der Leyen statt junger Familien nun Arbeitslose und Rentner. In diesem Amt gehören Horrorbotschaften und Statistiken zum Tageswerk. Dafür ist von der Leyen eine Fehlbesetzung - gerade in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit. Die Macht ihres Ministeriums verhält sich umgekehrt proportional zum Glamourfaktor.

Klaus Wowereit: Auf dem absteigenden Ast

In Berlin wird zwar erst 2011 wieder gewählt, aber der Regierende Bürgermeister sitzt jetzt schon auf dem absteigenden Ast. In den Umfragen schneidet Klaus Wowereit von Mal zu Mal schlechter ab, und dass er gerade einen Posten als Stellvertreter des neuen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel ergattern konnte, sollte den Realitätssinn des 56-Jährigen nicht trüben: Die Zeiten, in denen er als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt wurde, sind vorbei. Während Gabriel, Steinmeier und Nahles den Ton in der neuen SPD angeben, muss sich Wowereit daheim plötzlich vor den Grünen fürchten: 60 Prozent sehen in Renate Künast die Frau, die Berlin regieren könnte. Und es kommt jetzt noch dicker: Die CDU will eine Koalition mit den Grünen nicht mehr ausschließen.

Guido Westerwelle: Genschers Schuhe sind zu groß

Guido Westerwelles erste Amtshandlung als Außenminister ist es gewesen, die Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach als Opfer auf dem Altar der deutsch-polnischen Freundschaft darzubringen. Nur über seine Leiche werde die einen Sitz im Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibung kriegen, hat er den Polen gesagt. Oder so ähnlich. 39 Jahre nach Brandts Kniefall in Warschau! Vermutlich war es nicht nur superschlechtes Timing, sondern dazu noch die reine Übermotivation. Der Wille, um jeden Preis aufzufallen! Aber Tatsache ist: Wo immer Westerwelle jetzt auch hinkommt, ist sein bewunderter Übervater Hans-Dietrich Genscher ja schon zig-mal gewesen. So einfach, wie sich Westerwelle das Außenminister-sein vorgestellt hat, ist es also nicht. Und innenpolitisch klappt es für den FDP-Chef gerade auch nicht besonders. Jedenfalls nicht mit der Steuerreform.

Horst Seehofer: Es kommt noch schlimmer

Schlimmer kann es nicht kommen, mag sich Horst Seehofer gedacht haben, als er Bayern übernahm. Schließlich hatte sein Vorgängerduo das Kunststück fertiggebracht, die CSU in einer einzigen Landtagswahl von einer Zweidrittelmehrheit an die 40-Prozent-Grenze zu führen. Doch es kam schlimmer. Würde Seehofer sich selbst beim Wort nehmen, wäre er nach der Bundestagswahl zurückgetreten. Vermutlich nimmt er an, dass es jetzt wirklich nur noch aufwärts gehen kann. Aber danach sieht es überhaupt nicht aus. Seehofer lässt sich weiter dazu verleiten, auf seinen verhassten Wunschpartner FDP einzuprügeln. Sein Wahlkampfversprechen einer großen Steuerreform wankt. Und die Schieflage der Bayern-LB birgt erhebliche Risiken auch für den Ministerpräsidenten. 2010 könnte Seehofers letztes Jahr als Spitzenpolitiker werden.

Matthias Platzeck: Der unfreiwillige Stasi-Experte

"Deichgraf", "Kronprinz" - was ist Matthias Platzeck nicht schon alles gewesen. Sogar zum Parteichef hat er es mal kurzfristig gebracht. Vor vier Jahren, als die SPD einen neuen Parteivorsitzenden brauchte, weil Franz Müntefering nach einer parteiinternen Intrige keine Lust mehr hatte weiterzumachen. Jetzt ist Platzeck nur noch ein Stasi-Experte. Unfreiwillig. Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Linkspartei, mit der er in Brandenburg unbedingt koalieren wollte, doch nicht so geläutert war, wie er in seiner Naivität gemeint hatte. Umzingelt von ehemaligen IMs ist Brandenburgs Ministerpräsident jetzt erst einmal abgetaucht. Ein Schrecken ohne Ende scheint dem 56-jährigen Potsdamer immer noch lieber als ein Ende mit Schrecken. Aber so funktioniert Politik nicht. Kein Wunder, dass in Brandenburg die roten Mäuse auf dem Tisch tanzen.