Die Kürzungen des Senats, die jeder Hamburger bald spüren wird, stehen im direkten Zusammenhang mit der Steuerpolitik aus Berlin.

Hamburg. Bislang waren wir davon ausgegangen, dass zwischen der Hansestadt und der Hauptstadt nur 280 Kilometer liegen. Seit Freitag aber wissen wir, dass Hamburg und Berlin Welten trennen. Während die Bundesregierung noch über Steuererleichterungen streitet, verkündet Bürgermeister Ole von Beust ein 1,15-Milliarden-Sparpaket voller Grausamkeiten, Heulen und Zähneklappern. Der CDU-Politiker spricht von der „schwersten Krise der Nachkriegsgeschichte“ und setzt den Rotstift da an, wo es wehtut.

Der Senat verschiebt den Rechtsanspruch für einen Kita-Platz, er kürzt die Hortbetreuung, verteuert Kindergärten und Essensgeld, er senkt die Zahl der Gymnasiallehrer. Auch die Fahrten mit dem HVV werden erneut teurer. Viele Schwerpunkte, für die Schwarz-Grün steht, leiden: Familien sind besonders betroffen (sogar das Heiraten wird teurer), die Unterbringung des Nachwuchses wird sich nach den Kostensteigerungen für viele Eltern nicht mehr lohnen. Gut möglich, dass Mütter ihren Job quittieren, weil der Verdienst die Kita nicht mehr finanziert.

Genauso möglich ist, dass die Preissteigerungen im Nahverkehr Pendler wieder ins Auto treiben. Schwarz-Grün will etwas anderes, aber die katastrophale Haushaltslage engt jeden Gestaltungsspielraum ein. Man mag das alles schrecklich finden, doch realistische Alternativen können auch die Kritiker kaum aufzeigen. Der unheilvolle Dreiklang aus gigantischer Staatsverschuldung, wegbrechenden Steuereinnahmen und explodierenden Sozialkosten übertönt alles.

Ganz andere Töne schlägt die Koalition in Berlin an. Zwar verweist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) tapfer auf die Haushaltslage, aber das ficht den Rest der schwarz-gelben Koalition kaum an: Gerade FDP und CSU drängen allen Warnungen zum Trotz auf die im Wahlkampf versprochenen Steuersenkungen. Bis zum Tag, als die Investmentbank Lehman fiel, schien dieser Ansatz geboten, die Konjunktur anzukurbeln. Seit dem September 2009 und diversen Milliardenrettungspakten sollte dieser Politikansatz nur noch eines sein: verboten.

Schon bald werden Staaten weltweit Steuererhöhungen und Sparpakete diskutieren und umsetzen müssen. In diesem Wissen nun noch Steuergeschenke, etwa zugunsten von Hoteliers oder Steuerberatern, zu verteilen ist unverantwortlich. Und kontraproduktiv: Jeder Euro Steuersenkung schafft in der Bevölkerung deutlich weniger an Zufriedenheit, als jeder gekürzte Euro an Unzufriedenheit schürt.

Das Problem ist der psychologische Gewöhnungseffekt – die Steuererleichterung von heute ist der Besitzstand von morgen, der dann mit Klauen und Zähnen verteidigt wird. Besonders absurd aber ist, dass die Kürzungen des Senats, die jeder Hamburger bald spüren wird, im direkten Zusammenhang mit der steuerpolitischen Geisterfahrt in Berlin stehen. Bund und Länder sind finanziell eng verflochten.

Allein die unsinnige Mehrwertsteuerentlastung für Hoteliers kostet knapp eine Milliarde Euro, die dann auch die Länder bezahlen. Und: Warum soll die Bundesregierung das Kindergeld erhöhen, wenn dann die Länder die Kita-Kosten heraufschrauben? Peter Harry Carstensen hat es derbe, aber passend auf den Punkt gebracht: „Ihr habt sie doch nicht alle.“

Die Bundesregierung ist dabei, munter Geld zu verteilen, das sie gar nicht hat. Sie baut einen gewaltigen Verschiebebahnhof, der die Länder schwächt, ohne den Bund zu stärken. Ganz im Gegenteil: Mittelfristig beraubt sich Schwarz-Gelb mit den überflüssigen Wohltaten zu Beginn aller Handlungsspielräume für die Zukunft. Was will man gestalten, wenn die Kassen leer sind?

Zu Beginn der Finanzkrise ist viel von der „Rückkehr der Politik“ die Rede gewesen. Welch Irrtum: Sie ist auf dem besten Wege, sich in die Bedeutungslosigkeit zu verabschieden.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts