Sigmar Gabriel, Andrea Nahles oder Frank-Walter Steinmeier? Alle drei sprachen auf dem SPD-Parteitag in Dresden. Barbara Möller beobachtete, wer sich in der neuen Troika an die Spitze setzte.

Was für eine Erleichterung. Endlich ein entschlossener neuer Vorsitzender! Einer, dem die graue Parteiwirklichkeit noch nicht den Schneid abgekauft hat. Einer, der witzig ist und charmant sein kann. Und sogar gefühlvoll, wenn es darum geht, verdienten Genossen, die man fortan lieber von hinten sehen will, den Abschied angenehmer zu machen.

Genau so haben die 500 Delegierten Sigmar Gabriel in Dresden erlebt, und dafür haben sie ihm zugejubelt. Dankbar, dass Gabriel in seiner Antrittsrede mit Blick auf die Wahlniederlage vom 27. September wenigstens einen Hauch von Selbstkritik aufbrachte. Nach dem Motto, er wolle nicht mit dem Finger auf andere zeigen. "Das wäre", so Gabriel, "auch unehrlich, denn auch ich habe manchem von dem, was sich heute als falsch herausstellt, auf Parteitagen meine Zustimmung erteilt." Manchem! Nicht nur dieses Wort hat aus dem Satz ein rhetorisches Meisterwerk gemacht, sondern auch der Hinweis auf die Parteitage. Hätte Gabriel Klartext gesprochen, hätte er gesagt: Ihr alle habt es doch auch so gewollt.

Obwohl Gabriel in Dresden aufgrund einer Grippe gesundheitlich deutlich angeschlagen war, konnte er vor Kraft kaum gehen. Lange ist es her, dass ein SPD-Vorsitzender so gesprüht hat. Gabriel hat in Dresden eine mitreißende Rede gehalten, wie man sie in der Sozialdemokratie lange nicht mehr gehört hat. Jedenfalls nicht in den Zeiten eines Kurt Beck oder eines Franz Müntefering. Die Frage ist nur, wie lange die Zuversicht vorhalten wird, die das Schwergewicht aus Niedersachsen der schwer angeschlagenen Partei in Dresden vermittelt hat. Wie es um die Halbwertszeit solcher Aktionen bestellt sein kann, könnte einer dem neuen Parteivorsitzenden berichten, dem die Delegierten vor fünf Monaten zugejubelt haben, als wäre gerade Manna vom Himmel gefallen: Frank-Walter Steinmeier. Der gescheiterte Kanzlerkandidat, der sich am Wahlabend quasi selbst zum Vorsitzenden der Bundestagsfraktion ernannte, um nach dem Desaster nicht völlig vom Schlitten zu fallen.

Steinmeier hat auch auf der Dresdner Versammlung gesprochen. Er hat eine seiner Steinmeier-Reden gehalten. Eine Rede mit vielen lähmenden Wiederholungen nach dem Muster "Vor uns liegt eine spannende Zeit, vor uns liegt eine harte Zeit". Das ist der Stil, den Diplomaten pflegen, weil er ihnen Zeit verschafft, das Echo ihrer eigenen Worte zu kontrollieren. Der Stil, mit dem man die Herzen der Genossen gewinnt, ist es nicht. Steinmeiers Rede war eine Beamtenrede. Mit dieser blassen Rede blieb er hinter Gabriel zurück. Steinmeier wird andere Mittel finden müssen, sich auf Augenhöhe mit Gabriel zu positionieren.

Denn wenn Gabriel rhetorisch in Geberlaune ist, landen die anderen schnell in der Ecke. Besonders schlecht hat Andrea Nahles auf dieser Tagung ausgesehen. Locker wollte die 39-Jährige wirken. Aber ihre angestrengten Versuche, witzig zu sein, gingen daneben. Egal ob sie Münteferings populären Ausspruch, Opposition sei Mist, mit dem Zusatz garnierte: "Mist ist ein guter Dünger - meine Eltern züchten drauf die größten Kürbisse in der Eifel." Oder ob sie erklärte, es sei an der Zeit, dass die SPD eine Frau als Generalsekretärin bekomme - schließlich habe man in letzter Zeit genug "Basta und Testosteron" erlebt.

Es lag sicher nicht nur an ihrem verkorksten Redeauftritt, dass Nahles am Ende mit 69,6 Prozent abgestraft wurde. Die Parteirechte hat einfach nicht vergessen, dass es die ehemalige Juso-Vorsitzende vor vier Jahren auf eine Machtprobe mit dem damaligen Parteichef Franz Müntefering ankommen ließ, um SPD-Generalsekretärin zu werden. Und dass sie erst verzichtete, nachdem Müntefering verärgert und verletzt als Parteivorsitzender hingeworfen hatte. Seitdem gilt Nahles vielen Genossen als unangenehm ehrgeizig, und in Dresden mag vielen die Gelegenheit günstig erschienen sein, ihr das gründlich heimzuzahlen.

Wenn die neue Generalsekretärin Nahles die Verliererin dieses Parteitags war, wer ist dann der Gewinner? Gefühlt ist es der neue Parteivorsitzende Sigmar Gabriel. Er hat sich an die Spitze der neuen Troika gesetzt. Dresden war seine erste große Bühne. Jetzt wird alles davon abhängen, ob Sigmar Gabriel mehr sein kann als der Gute-Laune-Bär der SPD. Ob er auch das nötige intellektuelle Format hat, die eigene Partei programmatisch voran und die Regierungsparteien vor sich herzutreiben. Und ob er die Integrationsfigur ist, die die zersplitterte SPD so dringend braucht. Oder ob es nicht doch vernünftiger gewesen wäre, den äußerlich blasseren Frank-Walter Steinmeier zum Parteichef und den temperamentvollen Gabriel zum Fraktionsvorsitzenden zu machen.

Andererseits ist diese Frage müßig, denn sie haben es ja selber so gewollt. Am Tag nach der verlorenen Bundestagswahl haben Nahles, Gabriel und Steinmeier die Macht in der SPD untereinander aufgeteilt. In einem Berliner Hinterzimmer. In Dresden haben sie sich beständig angelächelt, umarmt und beklatscht. Mehr Harmonie als die von diesen dreien demonstrierte war schlechterdings nicht möglich. Sie gipfelte darin, dass Andrea Nahles eilfertig losstürzte und Sigmar Gabriel ein Taschentuch brachte, als der am Mikrofon mit den Begleiterscheinungen seiner Erkältung kämpfte.

Heißen muss das alles nichts. Da es um das Wohl der SPD geht, sollte diese Troika während der nächsten vier Jahre miteinander auskommen. Dass die eigentliche Machtfrage nämlich erst 2013 ansteht, wurde gestern schon deutlich. Als der neue Parteivorsitzende von der ARD nach dem nächsten SPD-Kanzlerkandidaten gefragt wurde und er sich weigerte, darauf zu antworten. Mit der vieldeutigen Begründung, eine verfrühte Debatte zu diesem Thema sei aus seiner Sicht "kein Ausdruck besonderer Intelligenz".