Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sperrt sich gegen Stufentarif. Die Liberalen meinen: Vertrag ist Vertrag.

Berlin. Die Pläne für den Umbau der Einkommenssteuer mit Milliardenentlastungen entwickeln sich zum größten Konfliktherd der neuen Regierungskoalition. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) heizte eine Woche nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags die Debatte gestern mit einer sehr skeptischen Bewertung der Koalitionspläne an und sorgte damit nicht nur bei den Liberalen, sondern auch auf dem Wirtschaftsflügel der Union für Irritationen. Zudem rechnen Schäubles Beamte dem "Handelsblatt" zufolge in der bevorstehenden Steuerschätzung für 2009 nur noch mit knapp 523 Milliarden Euro. Dies wären gut vier Milliarden Euro weniger für Bund, Länder und Kommunen, als noch im Mai prognostiziert wurden. Grund sei vor allem der Einbruch bei den Unternehmenssteuern.

Schäuble vertritt die Auffassung, dass es deshalb kaum möglich sei, die von der FDP bereits für 2011 erhoffte Strukturreform hin zu einem neuen Stufentarif ("Solms-Tarif") bei der Einkommenssteuer noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. "Es ist nicht die Zeit dafür, bei allem, was wir zu bewältigen haben", sagte der CDU-Politiker dem "Handelsblatt". Zwar bekannte er sich zu dem festgelegten Entlastungsvolumen von 24 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre als Zielmarke. Aber jeder wisse, dass Steuerreformen nur bei entsprechend großen Spielräumen für Entlastungen möglich seien. Im Übrigen halte er das klassische Tarifmodell nicht für altmodisch. FDP-Fraktionsvize Carl-Ludwig Thiele bekräftigte das Ziel, den Stufentarif einzuführen. "Pacta sunt servanda - Verträge sind einzuhalten", mahnte er an die Adresse Schäubles. Auch CDU-Mittelstandspolitiker Michael Fuchs forderte in der "Rheinischen Post", die Steuerentlastungen dürften nicht länger in Zweifel gezogen werden, wenn man das Wirtschaftswachstum stimulieren wolle.

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm bemühte sich vor der Bundespressekonferenz um Schadensbegrenzung. Es gebe in der Sache eigentlich nichts Neues. Der Koalitionsvertrag gelte selbstverständlich und werde von allen respektiert. Allerdings stellte Wilhelm klar, dass es keine verbindlichen Festlegungen über den Zeitpunkt und Umfang einer großen Steuerreform gibt.

Was feststehe, sei das Sofortprogramm für 2010 mit zusätzlichen Entlastungen für Familien, Unternehmer und Betriebserben, das noch im November auf den Weg gebracht werde. "Die Frage der großen Steuerreform und des Stufentarifs wird im Laufe des nächsten Jahres zu entscheiden sein", sagte Wilhelm. Eine wichtige Rolle dabei spiele die Steuerschätzung im Mai.

Der Konflikt um die Auslegung des schwarz-gelben Regierungsprogramms speist sich auch aus den vielen offengehaltenen Formulierungen im Koalitionsvertrag. Sprichwörtlich bis zur letzten Minute war die Steuerpolitik strittig, erst in der letzten Verhandlungsnacht gab es eine Einigung. Die Union wollte Entlastungen innerhalb des aktuellen Tarifmodells mittels eines flacheren Anstiegs, die FDP dagegen ihr Stufensystem - im Idealfall mit nur drei Steuersätzen. Gefunden wurde eine Formulierung, die beide Ziele aufgreift, aber jegliche konkrete Festlegung ausspart. Als Datum für das Inkrafttreten einer Steuerreform heißt es "möglichst zum 1.1.2011".

An den Steuerplänen der eigenen Partei hatten am Wochenende auch mehrere FDP-Länderminister Kritik geübt, weil sie dadurch zu große Löcher in ihren Landeshaushalten fürchten. Die Länder seien mit in der Verantwortung, wenn es darum gehe, mit Steuerentlastungen die Wirtschaft anzukurbeln, entgegnete darauf jetzt der FDP-Haushaltsexperte im Bundestag, Otto Fricke.