Die FDP-Politikerin gilt als sichere Anwärterin für einen Kabinettsposten. Sie fordert eine Abkehr von der Politik der Großen Koalition.

Hamburg/Berlin. Hamburger Abendblatt: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, 13 Jahre nach Ihrem Rücktritt als Justizministerin stehen Sie vor einer Rückkehr in die Bundesregierung. Wie groß ist der Respekt vor der neuen, alten Aufgabe?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wer welches Amt übernimmt, wird ganz am Ende entschieden. Die Verhandlungen auf den Feldern Inneres und Justiz verlangen einem große Verantwortung ab. Das erfüllt mich mit Freude, ist aber gleichzeitig sehr schwierig.

Abendblatt: Könnten Sie sich auch vorstellen, Innenministerin zu werden?

Leutheusser-Schnarrenbergern: Ich spekuliere nicht, aber das Innenministerium ist von großem Gewicht.

Abendblatt: In der Steuerpolitik, der Arbeitsmarktpolitik und der Gesundheitspolitik haben die Liberalen schon Positionen geräumt. Sind die Bürgerrechte das nächste Feld, auf dem die FDP klein beigibt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben überhaupt keine Positionen geräumt. Die FDP wird alles versuchen, eine Steuerstrukturreform mit einer echten Entlastung der Bürger durchsetzen. Wir bleiben auch bei unserer Forderung nach Abschaffung des Gesundheitsfonds. Und wollen Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzen. Wir räumen in der zweiten Verhandlungswoche nicht mal eben grundlegende Positionen der FDP.

Abendblatt: Die FDP beharrt also auch auf einer Korrektur der Sicherheitsgesetze?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, natürlich. Wir haben ein Forderungspaket auf den Tisch gelegt. Dazu gehört die Vorratsdatenspeicherung, die Internetsperren und das BKA-Gesetz. Zum BKA-Gesetz gehört nicht nur die Online-Durchsuchung. Wir wollen gerade den Kernbereich privater Lebensgestaltung bei allen Überwachungsmaßnahmen besser schützen - wie es das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber mit dem Großen Lauschangriff aufgetragen hat.

Abendblatt: Wegen des Großen Lauschangriffs haben Sie seinerzeit das Kabinett von Helmut Kohl verlassen. Können Sie sich vorstellen, jetzt in eine Bundesregierung einzutreten, die Wohnraumüberwachung ermöglicht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nach meinem Rücktritt habe ich mit anderen Liberalen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstritten, das zu einer erheblichen Einschränkung der Wohnraumüberwachung geführt hat. Lauschangriffe dürfen heute nur unter sehr strengen Voraussetzungen stattfinden. Das ist ein liberaler Erfolg.

Abendblatt: Wäre die FDP zu einem Bündnis bereit, das sämtliche Sicherheitsgesetze der Großen Koalition unangetastet lässt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wollen, dass sichtbar wird: Die neue Bundesregierung steht für einen Neuanfang in der Innen- und Rechtspolitik. Wir brauchen ein Umsteuern, denken Sie alleine an die hoch umstrittenen Internetsperren.

Abendblatt: Wollen Sie die Sperrung kinderpornografischer Seiten wieder aufheben?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wollen, dass sehr konsequent gegen kinderpornografische Inhalte im Netz vorgegangen wird. Für uns steht an allererster Stelle die Löschung solcher Inhalte. Stoppschilder, die leicht umgangen werden können, bringen nichts.


Abendblatt: Das wird Frau von der Leyen nicht gerne hören ...


Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sind am Verhandeln und müssen schauen, wie weit wir uns aufeinander zubewegen können. Wir wollen bei der Bekämpfung von Kinderpornografie nicht nachlässig sein. Frau von der Leyen wird sehen, dass auch die FDP das Internet nicht als gesetzesfreien Raum ansieht.


Abendblatt: Wie verstehen Sie sich mit der bisherigen Familienministerin?


Leutheusser-Schnarrenberger: Sie hat in der Familienpolitik wirklich einen tollen Job gemacht und etwas bewegt. Soweit ich mit ihr zu tun hatte, verstehe ich mich gut mit ihr.


Abendblatt: Die Integration von Zuwanderern stellt Deutschland vor eine immense Herausforderung. Brauchen wir dafür ein eigenes Ministerium?


Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP möchte in jedem Fall die Integration zu einem herausragenden Aufgabenfeld machen. Ein eigenes Ministerium halte ich nicht für zwingend. Sinnvoller könnte sein, die Integrationspolitik einem Fachministerium zuzuordnen.


Abendblatt: Welchem?


Leutheusser-Schnarrenberger: In einigen Bundesländern ist Integration eine Aufgabe des Justizministeriums. Da gibt es gute Erfahrungen.


Abendblatt: Was müsste eine für Integration zuständige Justizministerin anpacken?


Leutheusser-Schnarrenberger: Die neue Bundesregierung ist insgesamt gefordert: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Zuwanderer sollten besseren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Dafür sind Änderungen des Ausländer- und des Aufenthaltsrechts erforderlich. Die FDP tritt auch dafür ein, das kommunale Wahlrecht auf Ausländer aus Nicht-EU-Staaten auszudehnen.


Abendblatt: Wollen Sie auch die doppelte Staatsbürgerschaft durchsetzen?


Leutheusser-Schnarrenberger: Wir fordern nicht die generelle doppelte Staatsbürgerschaft. Aber wir wollen das derzeit geltende Optionsmodell prüfen und an der Praxistauglichkeit messen.


Abendblatt: Müsste das für Integration zuständige Kabinettsmitglied auch die eine oder andere Anregung des Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin aufnehmen?


Leutheusser-Schnarrenberger: Der Beitrag von Herrn Sarrazin war überhaupt nicht hilfreich. Wir brauchen in Deutschland eine ehrliche Debatte über Integration. Und da sollten wir nicht einfach nach neuen Gesetzen rufen. Wir müssen Stärken und Schwächen benennen - und die richtigen Konsequenzen ziehen. Zum Beispiel brauchen wir bessere Integrationskurse. Zuwanderer müssen Deutsch können.


Abendblatt: Hilft es, Deutsch ins Grundgesetz aufzunehmen?


Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich muss man in Deutschland Deutsch sprechen. Deutsch ist Amtssprache. Aber dafür eine Grundgesetzänderung? Ich persönlich halte davon wenig.


Abendblatt: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, im Saarland entsteht das erste Dreierbündnis aus Union, FDP und Grünen. Hat Jamaika Ihre Sympathie?


Leutheusser-Schnarrenberger: Die Parteienlandschaft ist in Bewegung geraten. Es ist gut, dass es Alternativen zur Großen Koalition gibt, wenn es für ein Zweierbündnis nicht reicht.


Abendblatt: Ist Jamaika ein Experiment - oder mehr?


Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist jetzt das kleine Saarland. Niemand weiß, ob das überall so funktionieren kann. Jamaika ist aber eine gute Antwort auf die Veränderung des Parteiensystems ...


Abendblatt: ... in dem sich Union und FDP nicht auf schwarz-gelbe Mehrheiten verlassen können.


Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wollen schwarz-gelbe Mehrheiten erzielen, und im Bund ist es jetzt auch gelungen. Aber wenn es einmal nicht reichen sollte, ist Jamaika allemal besser als eine Große Koalition.