Im deutschen Wahlkampf suchen Beobachter vergeblich nach dem Kampf. Und selbst Barack Obamas Buch hat hier eine andere Wirkung.

Der Hang der Deutschen, "überstabil" zu sein, ist seit Langem für die Außenwelt ein Rätsel. "Keine Experimente!", hat Konrad Adenauer in den 50er-Jahren immer wieder betont. Und im Wahlkampf 2009 scheint er immer noch das Sagen zu haben.

Ausländische Beobachter finden es zunehmend schwierig, den "Kampf" in der Kampagne zu beschreiben. Wer kandidiert gegen wen? Die Bundeskanzlerin meidet fast alle Kritik an ihrem Hauptgegner Außenminister Steinmeier. Die CDU und die FDP sind übereingekommen, nach der Wahl eine Koalition zu bilden. Aber die beiden Parteien scheinen sich ständig in die Haare zu geraten. Vielleicht fürchtet man die Unsicherheit eines Partnerwechsels mehr als den Stillstand mit den bequemen Kollegen aus der SPD. Die Oppositionsparteien - Grüne und Linke - reden nicht über Alternativen. Man meint, trotz Krise wird es sowieso beim Alten - bei der Großen Koalition - bleiben.

In einer Nation, deren Grundfeste immer wieder durch gewaltsame Umbrüche erschüttert wurden, scheinen die Wähler nach einer Art emotionaler Versicherung zu verlangen, bevor sie den Veränderungen zustimmen. Eine Zusage, dass Veränderungen den Status quo sozialer und wirtschaftlicher Stabilität, die so wichtig für das Selbstverständnis nach dem Zweiten Weltkrieg war, auf keinen Fall gefährden, wird vorausgesetzt. Der Fall Opel ist ein Paradebeispiel für diese Mentalität. Nicht Rettung der Firma, sondern Rettung der sozialen Stabilität schien das Ziel der meisten Politiker gewesen zu sein. Dass Opel besser fahren würde als Teil des Weltkonzerns General Motors war nur selten zu hören.

Wobei man nicht behaupten kann, dass in Deutschland nicht gehandelt wird oder dass das Land sich nicht ändert. Wie viele Vorstandsvorsitzende mussten in den letzten fünf Jahren den Hut nehmen? Was war denn eigentlich zwischen Porsche und Volkswagen los? Was macht man mit den neuen staatlichen Banken Hypo Real Estate und IKB? Wird unser Berliner Konsumdenkmal KDW überleben oder nicht? Und was, um Gottes Willen, ist ein Bachelor-Abschluss? Aber neue Ideen müssen als etwas verkauft werden, das keine wirkliche Neuerung ist. Wandel wird als Methode zur Stabilisierung vermittelt und nicht als Handlungsmaxime. Deutsche Politiker sind Experten, wenn es darum geht, Neues als eigentlich Altes zu deklarieren. Angela Merkel musste diese Lehre in 2005 teuer bezahlen. Aber Gerhard Schröder auch.

Wie unverständlich sich diese Diskussion auch für Außenseiter anhören mag, sie erfüllt einen wichtigen Zweck. Der Glaube an Sicherheit und Stabilität nimmt ab. Die Ergebnisse des Jahres 2009 zeigen aber auch, dass der Wandel von der Bevölkerung nicht mehr infrage gestellt wird, vielmehr die Prozesse, die zum Wandel führen.

Und hier liegt das Problem. Die kommenden Jahre werden aller Wahrscheinlichkeit nach eine entscheidende Phase der modernen Weltgeschichte markieren. Europas Zukunft wird im Wesentlichen von den Handlungsweisen seiner zentralsten und stärksten Nation abhängen.

Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass die Verwirklichung der westlich-demokratischen Vision einer demokratischen Welt von der Fähigkeit Deutschlands abhängen wird, ein gleichermaßen starker und selbstbewusster Partner sowohl für Europas Staaten als auch jenseits des Atlantiks zu bleiben.

Aus diesem Grund liegt das weltweite Interesse und Augenmerk stark auf der Rolle Deutschlands. Wie aber definiert sich eine Nation, die nach wie vor mit dem eigenen Gefühl von Selbstwert und Nationalstolz kämpft? Wo wird Deutschland die Widerstandsfähigkeit finden, erfolgreich mit Wandel, Veränderung und der Erosion des Sozialstaatsmodells umzugehen, die das Ende des Kalten Krieges mit sich gebracht hat?

Vielleicht sollte man auf die Worte von Friedrich von Logau achten, der im 17. Jahrhundert schrieb: "In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod." Stabilität ist für alle wichtig, aber sie darf nicht in Unbeweglichkeit enden. Sie darf Innovation nicht erwürgen oder neue Ideen unterdrücken.

Barack Obamas Buch "The Audacity of Hope" wird in Deutsch als "Hoffnung wagen" übersetzt. Die Wortwahl ist hier sehr informativ. Das Wort "audacity" wird meistens auf Deutsch negativ interpretiert - Dreistigkeit oder Verwegenheit. Das Verb "wagen" vermittelt eine große Portion Unsicherheit. Auf Englisch wirkt Obamas Botschaft positiv und hoffnungsvoll. Lasst uns hoffen, dass die neue Bundesregierung, egal welche Parteien darin vertreten sind, etwas mehr audacity ausstrahlt.