Die SPD, die früher keineswegs für den Atomausstieg gewesen ist, wähnt sich mit ihrer “Atomkraft - nein danke!“-Aktion auf der richtigen Seite.

Berlin. Was alt ist, muss nicht schlecht sein, aber dass die SPD nun mit der Siebziger-Jahre-Parole "Atomkraft - nein danke!" in den Bundestagswahlkampf ziehen will, mutet doch arg nostalgisch an. Fehlte eigentlich nur noch der gelbe Aufkleber, als sich die neueste Wählerinitiative für SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier gestern im Berliner Willy-Brandt-Haus vorstellte.

Angesichts der Vorankündigung hatte man zunächst seinen Augen und Ohren nicht getraut, aber die SPD hat den alten Schlachtruf tatsächlich ausgegraben. Zwei Monate vor der Bundestagswahl. Geschockt von Umfragewerten, die für den 27. September nichts Gutes verheißen. In der Hoffnung, endlich mal den Nerv der Zeit zu treffen, entschlossen, sich von der Union abzusetzen.

Ob das gelingt? An dem 2001 von der rot-grünen Bundesregierung mit der Energiewirtschaft vereinbarten Ausstieg aus der Atomenergie dürfe nicht gerüttelt werden, heißt es in der Erklärung. Und weiter: "Hier liegt die richtige Antwort auf die Klimaveränderung. Es wäre energiepolitisch und wirtschaftlich falsch, wenn Deutschland diesen Weg verlässt ... Wir unterstützen Frank-Walter Steinmeier, denn er betreibt mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz aktive Klimapolitik, die Arbeitsplätze schafft und sichert."

Zu den Erstunterzeichnern gehören bekennende SPD-Wähler wie die Schauspieler Nina Petri und Walter Sittler, alte Kämpfer wie der Grafiker Klaus Staeck oder der Parteilinke Hermann Scheer, aber auch der Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker und der Star unter den deutschen Kameraleuten, Michael Ballhaus.

Ballhaus ist mit seinen 73 Jahren der Doyen der neuen Wählerinitiative. Er erinnerte gestern an die Anti-Atom-Demonstrationen der Siebzigerjahre und beklagte, dass "manche ein kurzes Gedächtnis haben und vergessen, wie gefährlich die Atomkraft ist". Von Weizsäcker verwies auf sein 1995 vorgelegtes Buch "Faktor 4" von 1995, das nach wie vor Bestand habe: Noch heute gelte, dass man aus jeder Kilowattstunde Strom bei vernünftiger Energienutzung das Vierfache herausholen könne. Der Wissenschaftler fügte hinzu: "Die Atomenergie ist eine Risikotechnologie." Die Entsorgung sei ungelöst.

Matthias Machnig, Staatssekretär im SPD-geführten Bundesumweltministerium, zeigte sich hochzufrieden mit der Aktion. Am 27. September stehe eine Richtungswahl an, sagte Machnig, und zu den Richtungsthemen gehöre die Nutzung der Kernenergie. Wer den Ausstieg verhindern und wie die Union die Laufzeiten der alten Atomkraftwerke verlängern wolle, gefährde das Wachstum, weil damit Investitionen in erneuerbare Energien blockiert würden.

Die SPD, die in den Siebzigerjahren übrigens keineswegs für den Atomausstieg gewesen ist, wähnt sich mit ihrer "Atomkraft - nein danke!"-Aktion also auf der richtigen Seite. Sie verweist auf einschlägige Umfragen: 60 Prozent der Deutschen, so Machnig gestern, seien für den Ausstieg aus der Atomenergie.