Fußballfieber vorm Fernseher bei Tee und “Sigara böregi“: So feiert eine türkische Familie in Jenfeld das Halbfinale.

Hamburg. Die Gegend um die Jenfelder Allee ist eine recht beschauliche. Buchsbäume, Blumenrabatten, Rhododendren auf den Balkonen. Deutsche Fahnen hängen dieser Tage hier überall. Kleine und große, an Balkonen, an Autoscheiben, an Fenstern, aus Fenstern. Eigentlich nichts Besonderes. Schließlich läuft die Europameisterschaft, und die deutsche Nationalmannschaft hat es in Halbfinale geschafft. Auch am Balkon eines gediegenen Doppelhauses aus rotem Backstein, in der Nähe des Schiffbeker Wegs in Jenfeld, hängt eine deutsche Fahne. "Futbol Germany 2008" steht drauf. Beim näheren Hinsehen erkennt man, dass die "8" mal eine "6" gewesen ist. Offensichtlich ein Überbleibsel der letzten Weltmeisterschaft. An dem Klingelschild des Hauses steht "Cicek". Cicek ist türkisch und bedeutet "Blume". Eine deutsche Fahne an einem türkischen Haus. Sie hängt gleich neben einer türkischen Fahne - ebenfalls nichts Besonderes. Schließlich läuft die Europameisterschaft, und die türkische Nationalmannschaft hat es ins Halbfinale geschafft. Und das ist etwas Besonderes. Es ist das erste Mal überhaupt - und dann auch noch gegen das deutsche Team.

Familie Cicek fiebert dem morgigen Spiel entgegen - Vater Muammer (42), die vier Kinder Tugba (20), Abdullah (18), Mustafa (13) und Alperen (7) und sogar Mutter Sevim (39) haben sich von der Fußball-Aufregung anstecken lassen, obwohl sie sich sonst nicht so für das Spiel interessiert. "Aber diese Europameisterschaft ist schon etwas anderes. Gerade weil unsere beiden Mannschaften gegeneinander spielen und alles möglich ist. Das ist so aufregend."

Im Wohnzimmer der Familie steht ein nagelneuer LCD-Fernseher mit einer Bildschirmdiagonale von 106 Zentimetern auf einem schwarz-weißen modernen Lackschrank. "Habe ich extra zur EM gekauft", sagt Muammer Cicek und schmunzelt. So, als wollte er sagen: Große Jungs brauchen nun einmal große Fernseher. Klar, verständlich. Mutter Sevim serviert Tee und "Sigara böregi", leckere kleine Teigrollen mit Schafskäsefüllung, die aussehen wie zu groß geratene Zigaretten. Sohn Mustafa hilft ihr, die Sachen auf dem rechteckigen Glastisch zu verteilen. Eine Vase mit roten Rosen steht darauf. Die Familie macht es sich auf der roten Ledergarnitur bequem. Nichts erinnert hier an die Türkei, geschweige denn an den Orient. Eher an "Schöner Wohnen".

Wenn es morgen heißt "Deutschland gegen Türkei" und die Ciceks das Spiel auf ihrem großen Fernseher schauen, werden sie geschlossen dem türkischen Team um Trainer Fatih Terim die Daumen drücken. "Das alles ist so spannend für uns. So viele Erwartungen hängen an diesem Spiel. Ich wünsche mir wirklich von Herzen, dass die Türkei gewinnt", sagt Vater Muammer. Dann verschränkt er die Hände, setzt sich an den Rand seines Sofas, beugt sich vor und fügt wie selbstverständlich hinzu: "Na ja, und wenn die Türken es nicht schaffen sollten, dann bin ich halt im Finale für die deutsche Nationalmannschaft. Ich freue mich natürlich, wenn das Team meiner ersten Heimat gewinnt. Und wenn nicht, bin ich ein bisschen traurig und drücke dann dem Team meiner zweiten Heimat die Daumen."

So ähnlich sieht es auch der Rest der Familie. "Ich hoffe, die Türken gewinnen, auch wenn ich hier geboren und aufgewachsen bin. Das wird ein ganz besonderes Spiel", sagt Sohn Abdullah, der den Mittwochabend mit seinen Freunden im "Junge Muslime Lokal" auf St. Georg verbringen will. "Ich habe dort auch das letzte Spiel der Türken gegen Kroatien gesehen, und mir hat die Atmosphäre dort gefallen. Das Publikum war schön gemischt: Türken, Araber, Deutsche. Sogar die haben am Ende 'Türkiye, Türkiye' gerufen, und alle sind sich in die Arme gefallen." Die Diskussion darüber, ob es nach dem Spiel eventuell zu Ausschreitungen kommen wird, sieht der Gymnasiast, der selbst beim TSV Wandsbek-Jenfeld in der A-Jugend spielt, gelassen: "Menschen, die provozieren wollen und Streit suchen, gibt es unter den Türken genauso wie unter den Deutschen. Ich hoffe, die Leute bleiben friedlich und genießen das Spiel." Sein Bruder Mustafa, ebenfalls Fußballer in der C-Jugend des SC Concordia, pflichtet ihm bei: "Fußball ist nun mal ein leidenschaftliches Spiel, und die Türken geben nicht so leicht auf. Das haben sie in den letzten Spielen bewiesen. Aber es gibt keinen Grund für Stress."

Die Ciceks sind einfach froh, dass ihre Mannschaft es überhaupt so weit gebracht hat. Muammer Cicek, der 1981 mit 14 Jahren aus der anatolischen Stadt Yozgat nach Hamburg kam und seit fast 15 Jahren als selbstständiger Wochenmarktbetreiber arbeitet, glaubt nicht, dass es Ausschreitungen oder Streitereien unter den Fans geben wird. Er genießt die fröhliche EM-Stimmung im Land: "Wissen Sie, ich bin wahrlich kein Nationalist. Das hat auch nichts damit zu tun. 90 Prozent meiner Kunden sind Deutsche, darunter sehr viele ältere Damen, die bei mir Obst kaufen. Eine Dame, vielleicht um die 80 Jahre, meinte vergangene Woche zu mir: 'Also ihr Türken spielt richtig gut Fußball!' Das fand ich einfach toll."

Was der Türke nicht so toll findet, sind Ausdrücke in Zeitungen wie "Dönerwetter" oder Ausdrücke in türkischen Zeitungen, die "es manchmal übertreiben". Das sei verletzend und fehl am Platz. "Ich kann so etwas nicht verstehen und finde es auch nicht so lustig. Wir können mehr als Döner verkaufen."

Wetten hat der Großhändler mit seinen deutschen Kollegen auch schon abgeschlossen: Wenn die türkische Mannschaft gewinnt, gibt er eine Runde Bratwürste aus. Sollte das deutsche Team gewinnen, gibt es Trost-Döner für alle. "Ich glaube, es gibt kaum jemanden in der Stadt, der diesem Spiel nicht entgegenfiebert. Aber letzten Endes bleibt es ein Spiel. Und das Tolle ist: Wir werden gewinnen, so oder so", sagt Muammer Cicek. Denn: "Einer von uns wird ins Finale kommen. Und Tochter Tugba, deren Kopftuch den gleichen Ton hat wie das Rot der türkischen Fahne, fügt hinzu: "Ich träume von einem türkischen Sieg, aber Krawallmacher sollen doch bitte zu Hause bleiben." Das sei alles, was sie dazu zu sagen habe.

Nein, eine Sache fällt der Fremdsprachenschülerin noch ein: "Ein spannendes Spiel", wünscht sie. "Und beiden Seiten viel Glück!"