Abendblatt:

Herr Professor Raschke, gibt es einen großen Unterschied zwischen Schwarz-Grün im Land Hamburg und auf kommunaler Ebene?

Prof. Joachim Raschke:

Grundsätzlich würde ich Hamburg als große Kommune sehen. Sie haben Einzelfallentscheidungen - Elbvertiefung und Moorburg -, Sie haben keine so grundlegenden Gesetzesentscheidungen wie auf Bundesebene. Aber weil es ein Land ist, hat es Auswirkungen auf bundespolitische Debatten, auch auf die Frage, was für Koalitionen in welchen Ländern möglich sind. Das wird so etwas wie ein Modellwettbewerb. Das Besondere ist, dass die Koalitionsbildung fast vollständig einer lokalen Logik gefolgt ist, nicht einer bundespolitischen.



Abendblatt:

Wäre ein solches Bündnis in einem anderen Bundesland auch möglich gewesen?

Raschke:

Im Augenblick sind die Bedingungen nur in Hamburg so günstig. Es ist eine einzigartige Konstellation mit dem Verlust der absoluten Mehrheit und einem Regierungschef, der zwei Interessen verfolgt: die SPD, die lange geglaubt hat, das sei ihre Stadt, aus dem politischen Spiel rauszuhalten. Und die CDU als moderne Großstadtpartei aufzumöbeln. Außerdem steht von Beust für einen fairen, kooperativen Stil, von dem das Bündnis leben muss, wenn es gelingen will. Die Personenfrage ist eine zentrale Frage.



Abendblatt:

Welche Auswirkungen wird die Koalition auf die Koalitionsmöglichkeiten im Bund haben?

Raschke:

Keine unmittelbaren. Wir stehen am Beginn eines schwierigen Bündnisses. Der Erfolg ist ungewiss. Es gibt mit Schulreform und Moorburg zwei Konfliktfelder mit starken gesellschaftlichen Gegeninteressen. Wenn die Koalition in der Praxis erfolgreich ist, dann ist es unvermeidbar, dass es mit der neuen Farbenlehre im Fünf-Parteien-System auch bald eine neue Koalitionslehre geben wird. Trägt Schwarz-Grün unter den günstigsten Bedingungen, dann - aber nur dann - kann das Stück nicht nur auf der Probebühne Hamburg, sondern auch auf der Hauptbühne in Berlin aufgeführt werden.



Abendblatt:

Auf Bundesebene wären noch weitreichende Differenzen auszuräumen ...

Raschke:

Sozial-, Verteidigungs-, Einwanderungs-, Energie-, Umwelt-, Innenpolitik, Atomausstieg - die Liste ist lang. Schwarz-Grün ist eine für die Bundesgrünen sehr fern liegende Option. Es könnte nach der Bundestagswahl sein, dass es rechnerisch die einzige Zweierbündnis-Alternative zu einer Großen Koalition würde. Es ist in einem Extremfall denkbar, dass ein grüner Parteitag bei günstigen Angeboten darauf einginge. Aber dann müsste Angela Merkel eine Rolle spielen, die der von Ole von Beust entspricht: Souverän gegenüber Interessen der eigenen Klientel. Gleichzeitig kooperativ und bereit, die Fähigkeit der Grünen, bestimmte Teilinteressen der Gesellschaft kompetent zu vertreten, zu würdigen. Zum Beispiel bei den sozialen und ökologischen Themen. Es bleibt offen, ob Merkel so viel Souveränität und Freiheit im Bund gewinnt. Eher unwahrscheinlich ist, dass die massiven inhaltlichen Differenzen, die zurzeit noch bestehen, allein durch einen Kraftakt überbrückt werden können, wie ihn von Beust hier in Hamburg gerade macht.



Abendblatt:

Wie wirkt sich dieses Bündnis auf die Glaubwürdigkeit der CDU unter ihren konservativen Anhängern aus?

Raschke:

Die Auseinandersetzungen gehen erst los, wenn die Koalitionsvereinbarungen und die Begründungen bekannt sind. Ich kann mir vorstellen, dass von Beust innerhalb der CDU-Klientel und der angelagerten Interessen, zum Beispiel Industrie- und Handelskammer, mehr Schwierigkeiten hat als die Grünen mit ihren Mitgliedern.



Abendblatt:

Weshalb?

Raschke:

Die Grünen haben eine lange Reise in Richtung Realismus, Pragmatismus, Kompromissfähigkeit hinter sich, gerade hier in Hamburg, was mal eine Hochburg des Linksextremismus war. Sie haben Regierungserfahrung und haben ihre Lektion gelernt. Und sie haben die Mitglieder, auch begleitend zu den Koalitionsverhandlungen, mitgenommen und informiert über Einschätzungen und Risiken. Deswegen ist die grüne Anhängerschaft besser vorbereitet als die der Union.



Abendblatt:

Spielt auch die Ernüchterung über die Erfahrungen als Juniorpartner unter Rot-Grün mit hinein?

Raschke:

Alle beteiligten Grünen sprechen überaus positiv vom fairen, berechenbaren, sachorientierten, kooperativen Verhandlungsstil der CDU-Spitzen und haben im Kopf die große Differenz zu ihrer letzten Regierungsbeteiligung unter Ortwin Runde. Hinzu kommt, dass Ole von Beust für viele nicht durch ein Parteietikett gekennzeichnet ist, sondern als Bürgermeister der ganzen Stadt angesehen wird. Ohne die liberale Grundhaltung und die Initiative von Beusts gäbe es kein Schwarz-Grün in der Stadt. Ohne den inzwischen erworbenen Realismus der Grünen auch nicht.



Interview: Christina Jäger