Berlin/Hamburg. Um fünf Millionen Menschen ist Deutschlands Mittelschicht binnen sechs Jahren geschrumpft. Zwischen 2000 und 2006 sank ihr Anteil an der Bevölkerung von 62 auf 54 Prozent. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausfand, sind außerdem immer mehr Menschen zuletzt in die armutsgefährdete Schicht abgerutscht. Jeder Vierte verdiente 2006 weniger als 70 Prozent des Durchschnittseinkommens. Dieser Personenkreis ist seit dem Jahr 2000 um knapp sieben Prozentpunkte gestiegen.

Der Grund dafür ist die starke Zunahme bei Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Und: Immer mehr Normalbürger haben laut Umfragen Angst vor einem sozialen Abstieg. Sorge bereiten ihnen steigende Preise, stagnierende Löhne und die gekürzten Hilfen bei Arbeitslosigkeit. Trotz des anhaltenden Aufschwungs sind inzwischen nur noch 15 Prozent der Bürger der Meinung, dass die Verteilung in Deutschland gerecht ist. Das ist ein neuer historischer Tiefstand.

Parallel häufen Reiche und Gutverdiener immer mehr Geld an, wie das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) vorrechnet. Zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung haben kein oder nur wenig Vermögen, während das reichste Zehntel knapp 60 Prozent besitzt. Die realen Nettolöhne je Beschäftigtem sanken im aktuellen Aufschwung sogar um 3,5 Prozent. Vom Wirtschaftsaufschwung der vergangenen drei Jahre haben also viel weniger Menschen profitiert als vom letzten Boom von 1998 bis Anfang 2001.

Der Präsident des Sozialverbands VdK, Walter Hirrlinger, sagte: "Armut ist kein Zufallsproblem mehr." Hirrlinger verwies ebenfalls auf Zahlen des DIW, wonach 18,3 Prozent der Bundesbürger als armutsgefährdet gelten, also weniger als 880 Euro Monatseinkommen haben.

Im Niedriglohnbereich schaffen die meisten Beschäftigten den Aufstieg in eine bessere Position nicht mehr. Der Arbeitsmarktexperte Thorsten Kalina vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen sagte, Ende der 80er-Jahre hätten in Westdeutschland fast 20 Prozent der vollzeitbeschäftigten Niedriglöhner im jeweiligen Folgejahr besser dotierte Jobs gefunden. Von 2004 auf 2005 war dies bei nur noch 8,6 Prozent der Beschäftigten der Fall.