Mehr als 5000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland an den Folgen falscher Behandlung. Mediziner und Krankenkassen haben ein Aktionsbündnis für Patientensicherheit geschlossen. Dadurch soll die Quote von fünf bis zehn Prozent an „unerwünschten Ereignissen“ gesenkt werden.

Falsches Knie operiert Prof. Dr. Bertil Bouillon, Köln:

Eine junge Weitspringerin wird zur Arthroskopie ihres Kniegelenks bei Verdacht auf Innenmeniskusschaden in das Krankenhaus eingewiesen, in dem ich vor vielen Jahren als junger Assistenzarzt beschäftigt war.

Das eigentlich vorgesehene Operationsteam ist noch mit der Versorgung eines schwer verletzten Unfallopfers beschäftigt, weshalb ein zweites Team, dem auch ich angehöre, gebeten wird, die Operation zu übernehmen. Ich komme mit meinem Oberarzt in den Operationssaal. Die Patientin ist bereits fertig gelagert und steril abgedeckt. Ich kontrolliere das Aufklärungsblatt und beginne mit der Arthroskopie des rechten Knies. Wir finden aber keinen relevanten Meniskusschaden und können trotz langen Suchens keine Erklärung für die Beschwerden im Kniegelenk finden. Ein ungutes Gefühl bleibt. Mittags berichtet uns die Schwester bestürzt, dass wir die falsche Seite operiert hätten. Wie konnte das passieren? Die Patientin ist am Tag vor der Operation sorgfältig aufgeklärt worden. Versehentlich aber wurde die falsche Seite auf der Operationseinwilligung vermerkt. Die Patientin hat dann wohl in ihrer Aufregung auch für die falsche Seite unterschrieben. Dem aufklärenden Arzt ist die Seitenverwechslung im Aufklärungsbogen ebenfalls nicht aufgefallen. Das Pflegepersonal hat dann das rechte Knie abgedeckt und ich habe "konsequenterweise" das falsche Knie operiert.

Das Ereignis hat mich damals sehr beschäftigt. Ich wollte auf keinen Fall, dass eine solche Verwechslung in Zukunft noch einmal vorkommt. Ich zog also die Konsequenz: Seit diesem Vorfall markiere ich am Morgen der Operation immer beim wachen Patienten die zu operierende Extremität mit einem nicht abwischbaren Stift. Und diese Methode predige ich seither auch meinen Kollegen.

In die Lunge gestochen Dr. Marita Eisenmann-Klein, Regensburg:

Alles sieht nach Routine aus, die Patientin lässt sich – kurz vor ihrer Auswanderung nach Kanada – noch eine Fettgeschwulst am Rücken entfernen. Nach Ziehen der Drainage sammelt sich in der Wundhöhle jedoch Flüssigkeit. Mit einer Kanüle der Stärke 1 entferne ich sie. Kurze Zeit später erhalte ich einen Anruf aus der Röntgenabteilung: Bei der Patientin sei eine akute Atemnot aufgetreten, die Stationsärztin veranlasste daraufhin sofort eine Röntgenkontrolle, die die Verdachtsdiagnose bestätigt. Die Lunge ist kollabiert: Pneumothorax. Ich eile in die Notaufnahme, wo bereits alle Maßnahmen für das Legen einer Drainage getroffen sind. So schwer es mir auch fällt: Beim Anblick der schwer atmenden Patientin ist mir klar, das es keine andere Möglichkeit gibt, die Drainage muss sofort gelegt werden. Mit wenigen Worten versuche ich der Patientin zu erklären, was geschehen ist, und fühle mich entsetzlich dabei. In drei Tagen wollte sie in Kanada sein! Stattdessen liegt sie nun, durch meine Schuld, auf der Intensivstation. Glücklicherweise entfaltet sich die Lunge schnell, sodass sich zumindest die Atembeschwerden rasch zurückbilden. Ich belasse die Drainage so lange, bis endgültig klar ist, dass die Entfernung nicht einen erneuten Kollaps der Lunge auslöst. Die Patientin erkennt meine Betroffenheit und macht mir keine Vorwürfe. Auch meine Kollegen bestätigen, dass sie es nicht für möglich gehalten hätten, mit einer Kanüle der Stärke 1 einen Pneumothorax verursachen zu können. Nun, mir ist es offensichtlich gelungen. Vor einer Klage geschützt hat mich sicherlich, dass ich mich besonders intensiv um diese Patientin gekümmert habe. Belastet hat mich allerdings sehr, dass ich ihr keine Erklärung liefern konnte.

Klemme im Bauch vergessen Prof. Dr. Matthias Rothemund, Gießen:

Der große und leicht übergewichtige Patient kommt mit Enddarmkrebs zu mir. Ich entferne den Enddarm unter Erhalt des Afters, die Operation verläuft planmäßig. Wenige Tage später wird der Patient geröntgt. Zufällig zeigt die Aufnahme auch Teile einer Klemme im Bauch. Ich unterrichte den Patienten sofort. Die Klemme wird unter erneuter Eröffnung der Bauchwunde entfernt. Ich melde den Fall meiner Versicherung. Der Patient erhält in außergerichtlicher Einigung ein Schmerzensgeld. Natürlich bin ich als Operateur der Verantwortliche und Schuldige. Immer wieder überlege ich, wie ich die Klemme habe "vergessen" können. Ich habe mit einem Assistenten operiert, mit dem ich noch wenig zusammengearbeitet hatte. Während der Operation habe ich ihm mehrfach gesagt, dass er bestimmte Dinge tun oder unterlassen solle. Ich hatte ihn allerdings beim Verschluss der Bauchdecke nicht daran gehindert, eine Klemme an einer Stelle zu fixieren, wo ich normalerweise eine solche Klemme nicht hinsetze. Ich tat es nicht, um ihn nicht noch einmal zurechtzuweisen. Möglicherweise war es diese Klemme, die unter die Bauchdecke gerutscht war. Die Schwester hat zwar die Tupfer und Tücher nach der Operation gezählt, nicht jedoch die Instrumente. Ungefähr fünf Jahre nach der Operation kommt der Patient erneut zu mir. Bei ihm sei ein Leistenbruch diagnostiziert worden, und er bittet mich, diesen zu operieren. Ich bin erstaunt, dass er gerade zu mir kommt. Er erklärt, er sei offensichtlich gut operiert worden, sein Tumorleiden sei jetzt nach fünf Jahren nicht wiedergekommen. Wir hätten zwar einen Fehler gemacht, diesen jedoch sofort offen eingestanden und korrigiert. Er habe deshalb Vertrauen in meine Person und die Klinik.